Geschichte der AG
Chronik der AG Juden und Christen:

1959
Helmut Gollwitzer (1908-1993) und Adolf Freudenberg (1894-1977) drängen auf eine ständige VI. Arbeitsgruppe des Kirchentags neben den Arbeitsgruppen Familie, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Mensch und Ökumene.
1961

Geburtsstunde der AG als ständige IV. Arbeitsgruppe des DEKT mit dem Kirchentag in Berlin; zum ersten Mal nach der Shoa findet eine von Juden und Christen gemeinsam verantwortete »neue Begegnung von Juden und christlicher Gemeinde statt«; Resolution auf dem Berliner Kirchentag:
»Wir verwerfen die falsche, durch Jahrhunderte in der Kirche verbreitete Lehre, dass Gott das Volk der Juden verworfen habe, und stellen uns neu auf den Grund des apostolischen Wortes: Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor ersehen hat (Römer 11,2). Eine neue Begegnung mit dem von Gott erwählten Volk wird die Einsicht bestätigen oder neu erwecken, dass Juden und Christen gemeinsam aus der Treue Gottes leben, dass sie ihn preisen und ihm im Licht der biblischen Hoffnung überall unter den Menschen dienen.«
Unter den 35 Gründungsmitgliedern sind Rabbiner Robert Raphael Geis (1906-1972), Ernst Ludwig Ehrlich (1921-2007), Eva Reichmann (1897-1998), Schalom Ben-Chorin (1913-1998), Dietrich Goldschmidt (1914-1998), Friedrich-Wilhelm Marquardt, Martin Stöhr, Claus Westermann, Walter Zimmerli und Günther Harder (1902-1978); Vorsitz: Hans Joachim Kraus (1918-2000)
1962
»Es wurde volle Übereinstimmung zwischen der Gruppe und den Herren des Präsidialbüros darüber erzielt, daß die mit dem Kirchentag und den vorbereitenden Sitzungen begonnenen theologische Arbeit fortgeführt, vertieft und in weiterer Öffentlichkeitsarbeit in die Gemeinden hineingetragen werden müsse […]. Unter der Voraussetzung der gegenseitigen Eivenständigkeit und Handlungsfreiheit [scil. von Kirchentag und AG] einigt man sich auf folgende Formulierung: ›Arbeitsgemeinschaft ›Juden und Christen‹ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag‹.«
Vorstand: Adolf Freudenberg, Rabbiner Robert Raphael Geis, Dietrich Goldschmidt, Günther Harder
1963/64
Ernst Ludwig Ehrlich in einem Brief an Robert Raphael Geis (1963):
»[…] Sollte unsere AG VI in ihrer Mehrzahl uns im Stiche lassen oder lau sein, so fliegt eben der ganze Laden auf, denn dann wäre es keine Schade, und bei gegebenen Zeit machen wir mit unseren Freunden dann etwas Neues […]. So sehe ich in der Begegnung eine große Chance […]. Das wird der Test für AG VI sein […]. Jetzt müssen alle Farbe bekennen […].«
Die AG bleibt bestehen, aber inhaltlich wird kein Konsens erzielt.
Mitglieder der AG initiieren gemeinsam mit dem Deutschen Koordinierungsrat und und dem DGB einen Offenen Briefe mit dem Ziel, dass die Bundesrepublik den Staat Israel offiziell anerkennt.
1971
»Ökumenische Begegnungen ohne Beteiligung von Juden sind unvollständig, weil christlicher Glaube sich ohne die jüdische Wurzel falsch – weil unbiblisch – entwickelt […]. Christliches Zeugnis findet Ausdruck in dem gemeinsamen praktischen Eintreten von Juden und Christen für mehr Gerechtigkeit, mehr Menschenwürde im Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Judenmission widerspricht diesem biblischen Auftrag.«
1973
1975
Wahl eines Vorstandes: Edna Brocke, Martin Stöhr, Dietrich Goldschmidt und Otto Schenk
1981
Veranstaltungsform der »Grundkurse über das Judentum«
1985
»Wir sind beschämt, daß Kirchenleitungen und Synoden den Protest gegen dieses vorgehen demonstrierenden Juden überlassen haben, die an den Toren des ehemaligen KZ von Polizei fortgetragen wurden. Repräsentanten der evangelischen und katholischen Kirche solidarisierten sich nicht mit ihnen; sie nahmen vielmehr – im Gegensatz zu Repräsentanten der Juden – an der Gedenkfeier in Bergen-Belsen teil. Ihr auftreten und ihre aussagen sind dem Schicksal der Opfer wie der Überlebenden nicht gerecht geworden. Angesichts des Schweigens der kirchlichen Organe und der Repräsentanten der Kirchen fragen wir uns, ob die Synodalbeschlüsse über ein neues, positives Verhältnis zu den Juden […] Papiere bleiben werden, statt zu solidarischem Handeln mit den Juden im täglichen Leben zu führen.«
1986
»Die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag – Frau Edna Brocke – Prof. Dietrich Goldschmidt – Pfarrer Otto Schenk – Pfarrer D. Martin Stöhr. Schon im Jahr 1949 hatte sich der Evangelische Kichentag in einer Grundsatzerklärung entschlossen, ›in der Wahrheit und in der Liebe die Begegnung mit Juden zu suchen‹. Aus diesem Bekenntnis heraus wurde 1961 die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen gegründet, die sich seither im brüderlichen Geist der Begegnung und Wiedergutmachung, der Achtung und Hilfe um die deutsch- jüdische Aussöhnung verdient gemacht hat. Ihre Arbeit ist geprägt vom Gedanken des Miteinanders durch gemeinsames Lernen und Handeln. Während der Kirchentage bemüht sich die Arbeitsgemeinschaft in unzähligen Veranstaltungen, Diskussionen und Vortragsreihen, sich dem Friedensauftrag der Kirchen zu stellen und zum Abbau gegenseitiger Vorurteile im deutsch- jüdischen Verhältnis beizutragen.«
1987
1991
Internes Protokoll der Jahrestagung 1991, das damals nicht zur Veröffentlichung freigegeben worden war:
»Unsere Solidarität, die Solidarität der Christen und der deutschen Öffentlichkeit gegenüber Israel in dieser Situation muss deutlich zum Ausdruck kommen. Wir bekräftigen das Recht Israels zur Selbstverteidigung. die Lieferung von Verteidigungsmitteln durch Deutschland ist ein Beitrag zu Selbstverteidigung. Die durch die westlichen und östlichen Industrienationen ermöflichte aufrüstung des Irak und seine dadurch ermutigten aggressiven Handlungen müssen jetzt beendet werden. Wir empfinden Schmerz über alle Opfer des Golfkrieges, der durch den Irak ausgelöst wurde. Wir sehen hetzt jedoch keine andere Möglicheit as diese gewaltsame Beendigung der irakischen Aggressionen. Wir empfinden schmerzlich das Versagen der deutschen Politik, der deutschen Wirtschaft, der Kirchen und der Christen in Deutschland, die durch Kurzsichtigkeit, Gewinnstreben und mangelndes Bewußtsein die Aufrüstung des Irak ermöglicht haben […].«
Insbesondere die gewaltsame Beendigung des Krieges ist kein Konsens in der AG, was einen der Gründe darstellt, weswegen das Protokoll nicht zur Veröffentlichung freigegeben worden war. Die jüdischen Mitglieder der AG fühlen sich von den christlichen Mitgliedern im Stich gelassen und vermissen Solidarität mit Israel; unter den christlichen Mitgliedern bestehen unterschiedliche Positionen.
Erinnerungen von Edna Brocke:
»Der Golfkrieg war die erste wirkliche Belastungsprobe für all jene, die sich in den Jahren nach Ende des zweiten Weltkrieges um ein Gespräch und um eine Erneuerung der Beziehungen zwischen Christen und Juden bemüht haben. Die Tatsache, daß so viele von jenen am Gespräch zwischen Christen und Juden Beteiligten auch in der Arbeitsgemeinschaft erst wach gerüttelt werden mußten, ehe sie die erneute Gefährdung Israels wahrnahmen, daß manche von ihnen bis heute diese Gefährdung als Einbildung bezeichnen, wirft eine grunsätzliche Frage auf: Im Rahmen welcher Koordinaten kann ein Gespräch zwischen Christen und Juden in Zukunft Sinn machen?«
Rücktritt des Vorstandes Edna Borcke, Martin Stöhr, Johann Schwarz, Albrecht Lohrbächer und Harald Uhl
Neuer kommissarischer Vorstand: Micha Brumlik, Eldad Horwitz, Friedrich-Wilhelm Marquardt, Klaus Wengst und Ute Deichmann
1992
1999
Resolution »Ja zur Partnerschaft und zum innerbiblischen Dialog. Nein zur Judenmission«:
»[…] Die Mission an Juden gefährdet den Dialog zwischen Juden und Christen und wird in den jüdischen Gemeinden als Bedrohung wahrgenommen. Deshalb verbietet sich für Christen jeder Versuch, an einen Juden in missionarischer Absicht heranzutreten […].«
2001
2006
2011

50 Jahre AG Juden und Christen: Jubiläumsfeier mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Dieter Graumann
2014
2015
2016
2017
2017
Quellen
- Gabriele Kammerer, In die Haare, in die Arme. 40 Jahre Arbeitsgemeinschaft »Juden und Christen« beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (Gütersloh: Chr. Kaiser, 2001).
Bildmaterial
- 1961: © Bundesarchiv, B 145 Bild-P060361 / CC-BY-SA 3.0; 2011: © DEKT/Jens Schulze
Zusammengestellt von
- Jonas Leipziger