Vorstellung des „Projektes zur Analyse der Curricula des Studiums der Evangelischen Theologie für Pfarramt und Lehramt in Bezug auf jüdische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte“

Nagelprobe des jüdisch-christlichen Dialogs in der Praxis

„Das christlich-jüdische Gespräch hat bedeutende Ergebnisse erzielt. Es ist bisher jedoch trotz großer Bemühungen nur unzureichend gelungen, diese auch auf die Ebene der Gemeinde zu tragen. Hier liegt eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft.“1 So bilanzierte die EKD-Studie Christen und Juden III zu Beginn des Jahrtausends und unterstrich damit die Notwendigkeit, das jüdisch-christliche Gespräch, seine Einsichten und Erkenntnisse, aus dem Kreis der Fachleute und der theologischen Forschung in den Horizont und die Praxis von Gemeinden und einzelnen Christ_innen zu rücken. Vor allem in der Exegese und der Systematischen Theologie, z.T. auch in Kirchengeschichte und Praktischer Theologie hat der christlich-jüdische Dialog in den letzten 50 Jahren wichtige Fortschritte bewirkt. Es wird sich jedoch, so der Praktische Theologe Alexander Deeg, primär „in der kirchlichen Praxis, im Reden und Handeln der Christinnen und Christen erweisen, ob von einer Erneuerung der Kirche in Israels Gegenwart gesprochen werden kann oder nicht.“2

Das Reden und Handeln von Christinnen und Christen gegenüber Israel ist ambivalent. Eine jüngere Studie des Forschungsprojekts zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) unter der Leitung von Andreas Zick zeigt erneut, dass Kirchenzugehörigkeit allein nicht vor antisemitischen Einstellungen schützt. Vielmehr „sind antisemitische Ressentiments gegenüber Juden und Jüdinnen unter Menschen die sich als religiös bezeichnen – sowohl katholisch als auch evangelisch – häufiger als im Rest der Bevölkerung.“3 Wenn also einerseits soziologischen Umfragen zur Verbindung von Antisemitismus und Kirchenzugehörigkeit alarmierend sind und andererseits die kirchliche Praxis und das Handeln und Reden von Christ_innen zum Prüfstein für die Erneuerung des Verhältnisses von Kirche und Judentum genommen wird, dann stellt sich damit unweigerlich auch die Frage nach dem Stellenwert und Stand von jüdischen und jüdisch-christlichen Lehrinhalten in der Ausbildung von zukünftigen Pastor_innen und Religionslehrer_innnen, als den entscheidenden Multiplikator_innen einer erneuerten Kirche und Theologie in Israels Gegenwart.

Aufbau und Vorgehen der Studie

Um ein aktuelles Bild über die genannten Lehrinhalte in den einschlägigen theologischen und religionspädagogischen Studiengänge zu gewinnen, hat der Vorstand der AG Juden und Christen beim DEKT in Verbindung mit dem Lehrstuhl für Praktische Theologie und Bildungsforschung an der Georg-August-Universität Göttingen das Projekt zur Analyse der Curricula des Studiums der Evangelischen Theologie für Pfarramt und Lehramt in Bezug auf jüdische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte initiiert, welches von verschiedenen Landeskirchen unterstützt und finanziert wird. In einem ersten Schritt ging es in dem Projekt um eine Bestandsaufnahme, ob, und wenn ja, in welchem Umfang und mit welchen Inhalten sowohl „Judentum“ als auch das „jüdisch-christliche Verhältnis“ in den das Studium der evangelischen Theologie strukturierenden Curricula bzw. Modulkatalogen thematisiert werden. Hierfür wurden sowohl das Pfarramtsstudium als auch die Lehramtsstudiengänge Evangelische Religion einer Analyse unterzogen. Im Blick auf den Pfarramtsstudiengang wurden, einerseits die Curricula bzw. Modulkataloge der 19 Fakultäten sowie der zwei Kirchlichen Hochschulen in Deutschland, andererseits die Vorgaben der Fachkommission I (der sog. Gemischten Kommission) sowie der Landeskirchen auf diese Frage hin betrachtet. Für die Lehramtsstudiengänge wurde demgegenüber eine Begrenzung auf die Studiengänge für das Lehramt an Gesamtschulen und Gymnasien sowie an der Grundschule vorgenommen. Pro Bundesland wurde die Studienordnung je einer exemplarischen Fakultät und eines Instituts für Lehrerbildung untersucht. Hierbei wurden die Vorgaben der Fachkommission II sowie der Bundesländer Berücksichtigung finden. Zugleich soll festgehalten werden, ob die Lerninhalte in einem religionswissenschaftlichen, judaistischen oder theologischen Kontext behandelt werden:

  • Im religionswissenschaftlichen Kontext wird das Judentum ggf. als eine unter mehreren nichtchristlichen Religionen behandelt,
  • im Kontext von Judaistik bzw. jüdischen Studien wird explizit das Judentum behandelt, dies allerdings nicht in Bezug auf das Christentum oder christliche Lehrinhalte,
  • in theologischen Modul(element)en mit jüdisch-christlichem Fokus kommen demgegenüber sowohl judaistische Lehrinhalte als auch die darauf bezogene christliche Selbstreflexion zur Sprache.
Auf Grundlage der Bestandsaufnahme wurden in einem zweiten Schritt sowohl Vorschläge gesammelt, als auch Thesen erarbeitet, wie jüdische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte im Interesse einer Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses zielführender in den Curricula bzw. Modulkatalogen verankert werden könnten. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme und die Vorschläge wurden im Dezember 2016 auf einem Fachtag in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie zu Berlin präsentiert, diskutiert,  weiterentwickelt und weitergetragen.

Reform der Reformation

2017 feiert die Kirche das 500jährige Reformationsjubiläum. Die 12. Synode der EKD hat bei ihrer 2. Tagung in Bremen am 11. November 2015 eine Kundgebung zu Martin Luther und die Juden – Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum beschlossen, in der sie ihre Verantwortung in Bezug auf den Umgang und die Klärung mit den judenfeindlichen Aussagen der Reformationszeit und ihrer Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte bekennt.4 Den letzten Punkt der Kundgebung Erneuernder Aufbruch beschließt sie mit dem Satz „Das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 gibt Anlass zu weiteren Schritten der Umkehr und Erneuerung.“5 Die verpflichtende Verankerung dieser Be- und Erkenntnisse in der theologischen Ausbildung von zukünftigen Pastor_innen und Lehrer_innen fasst die EKD-Synode in diesem Zusammenhang leider noch nicht ins Auge, obwohl dies sicher ein seit langem gewünschter und in der Sache unumgänglicher „Schritt der Umkehr und Erneuerung“ wäre.6

Projektpartner*innen

  • Prof. Dr. Bernd Schröder, Georg-August Universität Göttingen
  • Marie Hecke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Georg-August Universität Göttingen
  • Prof. Dr. Doron Kiesel, Vorstandsmitglied, AG Juden und Christen beim Deutschen Ev. Kirchentag
  • Aline Seel, Vorstandsmitglied, AG Juden und Christen beim Deutschen Ev. Kirchentag
  • Dr. Christian Staffa, Studienleiter Demokratische Kultur und Kirche, Evangelische Akademie zu Berlin

Jüdisch-christlicher Dialog und das Studium der Evangelischen Theologie bzw. Religion in Deutschland

Ergebnisse einer Analyse der Studien- und Prüfungsordnungen für das Pfarramts- und Lehramtsstudium in Bezug auf jüdische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte

Inhalt

1. Einleitung
2. Studiendesign
3. Ergebnisse
4. Quintessenzen
5. Downloads: Ergebnisse im Detail

1. Einleitung
1.1 Genese der Studie

Die Verwurzelung des Christentums im antiken Israel wie im entstehenden Judentum und das Jude-Sein Jesu sind zwei historisch gegebene, maßgebliche Ausgangpunkte christlicher Theologie; von ihnen steht sie unweigerlich vor der Aufgabe ihrer Verhältnisbestimmung zum Judentum. Nach Jahrhunderten, in denen diese Bestimmung von Substitutionstheologie und Antijudaismus geprägt war, geht es seit der Schoah um eine Erneuerung des Verhältnisses zum Judentum im Geist der Wertschätzung und des Dialogs, um eine Selbstauslegung des Christentums im Gespräch mit dem historischen wie dem gegenwärtigen Judentum.

Ein solches Gespräch ist voraussetzungsreich: Es erfordert nicht zuletzt kundige Gesprächspartner_innen auf beiden Seiten, die in der Lage und bereit sind, in bestehende Gesprächszusammenhänge einzutauchen und ggf. neue Gesprächsfäden zu knüpfen, Themen einzubringen, Formate auszuprobieren. Das wiederum setzt in der Regel voraus, dass jemand durch eigene Erfahrungen einen existentiellen Bezug zum christlich-jüdischen Dialog aufbauen konnte und diesem Themenfeld in der eigenen (Bildungs-)Biografie einen Platz zuerkennt.

Von dieser elementaren Einsicht her liegt es nahe, nach dem Stellenwert der Thematik in den Ausbildungsgängen zukünftiger Multiplikator_innen zu fragen. Auf christlicher, spezieller: evangelischer Seite sind dies – nicht ausschließlich, aber doch vor allem – Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Religionslehrerinnen und Religionslehrer aller Schulformen, die mit ihrer gemeindlichen Arbeit bzw. ihrem ihrem Unterricht eine enorme Breitenwirkung erzielen.7

In Anbetracht dessen ergriff die „Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT)“ im Herbst 2015 die Initiative, den Stellenwert jüdischer und/oder jüdisch-christlicher Lehrinhalte in den Studien- und Prüfungsordnungen für das Theologiestudium mit dem Berufsziel „Pfarramt“ oder „Religionslehrer_in“ untersuchen zu lassen. Die AG warb bei einigen Landeskirchen – Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (EKiB), Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover, Evangelische Kirche in  Mitteldeutschland (EKM), Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) und Evangelische Landeskirche in Württemberg – sowie bei der Evangelischen Akademie Berlin Mittel ein, mit deren Hilfe eine studentische Hilfskraft, Julia Nikolaus, gewonnen werden konnte, die in Zusammenarbeit mit Marie Hecke und Prof. Dr. Bernd Schröder, alle Göttingen, ein Konzept für die Datenerhebung entwickelte und die kriteriengeleitete Auswertung der Homepages, Studien- und Prüfungsordnungen vornahm.8 Die Projektlaufzeit war auf ein Jahr angelegt (2/2016 – 1/2017), die Fülle der Studienregelungen im Lehramtsbereich ließ jedoch eine Ausweitung um weitere drei Monate erforderlich werden.

1.2 Fragestellung der Studie

Die Themenstellung setzte eine doppelte Fragerichtung frei: Der analytische Teil der Aufgabe stand  unter folgender Frage: In welchem Umfang, mit welchem Grad an Verbindlichkeit und anhand welcher Inhalte werden im Studium evangelischer Theologie „Judentum“ und vor allem „Jüdisch-christliches Verhältnis“ thematisiert?

Daneben rückte ein prospektiver Auftrag unter der Leitfrage: Wie lassen sich die Themenkreise „Judentum / Jüdisch-christliches Verhältnis“ umfangreicher und v.a. nachhaltiger in Pfarramts- und Lehramtsstudiengängen verankern?

Die Untersuchung bezieht sich näherhin

  • auf diejenigen Studiengänge im Fach Evangelische Theologie, die in der Regel gewählt werden, um später den Beruf der Pfarrerin bzw. des Pfarrers oder denjenigen des Religionslehrers bzw. der Religionslehrerin zu ergreifen (Pfarramts- und Religionslehramtsstudium),
  • auf Studiengänge, die sowohl von den 19 Evangelisch-Theologischen Fakultäten und den zwei Kirchlichen Hochschulen 9 als auch von den 34 „Instituten für Evangelische Theologie“10 (d.h. universitären Einrichtungen mit i.d.R. 2-3 Professuren, die organisatorisch in Philosophischen, Erziehungswissenschaftlichen, Kulturwissenschaftlichen Fakultäten angesiedelt sind und in der Regel ausschließlich Lehramtsstudiengänge unterhalten) in Deutschland angeboten werden (Fakultäten und Institute),
  • unter den vielen Lehramtsstudiengängen, die differenziert auf Förder-, Grund-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen (z.T. auch summarisch auf die Sekundarstufe I), zudem auf Gymnasien sowie Berufsbildende Schulen zielen, exemplarisch auf das Lehramt an Grundschulen und auf dasjenige an Gymnasien / Gesamtschulen. Auf diese Weise war ein Studiengang mit hohem fachbezogenen Studienanteil (ca. 100 Credits, die 3.000 Arbeitsstunden entsprechen, ggf. zzgl. Bachelor und/oder Masterarbeit) und ein Studiengang mit niedrigem fachbezogenen Studienanteil (ca. 30 Credits, die 900 Arbeitsstunden entsprechen) in die Analyse einbezogen (Lehramt Grundschule und Gymnasium/Gesamtschule).11

Einbezogen wurden ausschließlich öffentlich zugängliche Materialien (Positionspapiere der Landeskirchen, Studienordnungen, Vorlesungsverzeichnisse u.ä.); die einzelnen Studienstandorte wurden nicht um Auskünfte gebeten – dies hätte den erforderlichen Aufwand vervielfacht und wäre nicht zu leisten gewesen.

1.3 Rahmenbedingungen

Um die Befunde einzuordnen und zugleich eine Schwierigkeit vor Augen zu stellen, die sich ergibt, wenn ein Themengebiet wie hier etwa „Judentum / jüdisch-christlicher Dialog“ stärker als bislang in Studien- und Prüfungsordnungen Berücksichtigung finden soll, muss kurz auf die Rahmenregelungen verwiesen werden, die – je nach Studiengang – die Programme aller Standorte, seien es Fakultäten, seien es Institute steuern bzw. ihrer Gestaltungsfreiheit Grenzen setzen, um bundesweit einheitliche Qualifikationsstandards anzubahnen. Pfarramtsstudium Im Falle des Pfarramtsstudiums stammen solche Regelungen aus vier verschiedenen Quellen: Erstens unterliegt das Theologiestudium den formalen Regeln, die auf der Ebene eines Agreements der Wissenschaftsminister_innen innerhalb der Europäischen Union für alle Studiengänge im sog. Europäischen Hochschulraum gelten und im Wesentlichen auf die sog. Bologna-Erklärung  von 1999 zurückgehen; dazu zählen etwa Festlegungen zum Volumen eines Studiums (300 Credits bzw. Leistungspunkte), zu dessen Struktur (Module mit Inhalts- und Kompetenzbeschreibungen) und zu Prüfungsformaten (wobei die Kirchen die Übernahme von Bachelor- und Masterprüfungen von Anfang an abgelehnt und stattdessen i.d.R. Zwischenprüfung und kirchliches Examen beibehalten haben).12 Zweitens ist das Pfarramtsstudium reguliert durch Vereinbarungen zwischen Kirchen und Fakultäten auf EKD-Ebene13 – ausgehandelt in der sog. Fachkommission I der Gemischten Kommission, und beschlossen auf dem „Evangelisch-Theologischen Fakultätentag“ (E-TFT) sowie von der Kirchenkonferenz. Drittens stellt jede einzelne Landeskirche in Deutschland Regeln für das Examen (Erstes Theologische Examen, erste theologische Dienstprüfung, Kirchliches Examen) auf, das zum Eintritt in den kirchlichen Vorbereitungsdienst befähigt. Diese Prüfungsordnungen setzten ein ordnungsgemäßes Studium nach der Studienordnung des jeweiligen Studienstandortes voraus, können aber durchaus eigene Akzente setzen. Diese Prüfungsordnungen des (landes-)kirchlichen Examens liegen in allein kirchlicher Verantwortung. Schließlich haben viertens die einzelnen Fakultäten und ihre Mitglieder die Möglichkeit, in Entsprechung zu den bisher genannten Regelungen die jeweiligen Prüfungs- und Studienordnungen zu bestimmen und zudem in jedem Semester aufs Neue Lehrveranstaltungen zu konzipieren, die die vorgesehenen Inhalte, Methoden und Kompetenzen erschließen. Um ein Beispiel hier aufzurufen: Die „Empfehlungen der Gemischten Kommission / Fachkommission I für den Studiengang Ev. Theologie“ (2008) schreiben vor, dass ein Pfarramtsstudium
  • den Erwerb der sog. alten Sprachen (Latein, Altgriechisch, Biblisches Hebräisch),
  • ein Grundstudium aus 7 Basismodulen (Propädeutik + AT, NT, KG, ST, PT + Interdisziplinäres) und 2 Wahlmodulen (aus den Bereichen „Philosophie“ und „Religionswissenschaft und Missionswissenschaft bzw. Interkulturelle Theologie“),
  • ein Hauptstudium aus 6 Aufbaumodulen (AT, NT, KG, ST, PT + Interdisziplinäres), sowie
  • eine Integrations- und Examensphase mit jeweils fixen Leistungspunkten umfasst.14 Diese Maßgabe ist für alle Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen verbindlich.
Im Blick auf unsere Thematik ist in diesem Rahmen die Grundsatzentscheidung getroffen worden, das Verhältnis des Christentums zum  Judentum als sog. Querschnittsthematik zu verstehen. Dementsprechend heißt es etwa in der „Übersicht über die Gegenstände des theologischen Studiums“ (2012): „In allen theologischen Fächern sind als besondere Themenschwerpunkte zu berücksichtigen: Christentum und Judentum, Genderforschung, Ökumene.“15

Lehramtsstudium
Im Falle des Lehramtsstudiums stammen solche Regelungen sogar aus fünf verschiedenen Quellen:

Erstens unterliegt auch das Lehramtsstudium aller Fächer den formalen Regeln, die im sog. Europäischen Hochschulraum gelten und im Wesentlichen auf die sog. Bologna-Erklärung  von 1999 zurückgehen (s.o.).

Zweitens ist das Lehramtsstudium reguliert durch Vereinbarungen der Konferenz der Kultusminister_innen der Länder (KMK) für die Lehrer_innenbildung.16

Drittens bestehen Rahmenvereinbarungen für die Religionslehrer_innenbildung zwischen Kirchen und Fakultäten bzw. Instituten auf EKD-Ebene – ausgehandelt in der sog. Fachkommission II der Gemischten Kommission, und beschlossen auf der „Konferenz der Institute für Evangelische Theologie“ (KIET), dem „Evangelisch-Theologischen Fakultätentag“ (E-TFT)und der Kirchenkonferenz.17

Viertens bestehen zumindest in einigen Bundesländern wie etwa in Bayern und Sachsen allein staatliche Regelungen für das Erste Staatsexamen, mit dem das Lehramtsstudium abzuschließen ist, wenn jemand in den Vorbereitungsdienst (Referendariat) aufgenommen werden möchte..

Schließlich haben fünftens auch hier die einzelnen Fakultäten bzw. Institute und deren Mitglieder die Möglichkeit, in Entsprechung zu den bisher genannten Regelungen die jeweiligen Prüfungs- und Studienordnungen zu bestimmen und zudem in jedem Semester aufs Neue Lehrveranstaltungen zu konzipieren.

Um auch hier ein Beispiel aufzurufen: Die „Empfehlungen der Gemischten Kommission / Fachkommission II für die Religionslehrerausbildung m.d.T. „Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz“ (2008) sehen für den „Aufbau professioneller Handlungskompetenz“ von Lehrenden ein „Struktur- und Entwicklungsmodell“ vor, das zwölf Kompetenzen in den Vordergrund stellt. Dort heißt es etwa:

„Die Leitkompetenz ‚theologisch-religionspädagogische Kompetenz‘ lässt sich vor dem Hintergrund der fachspezifischen Anforderungen des Berufsfeldes in fünf grundlegenden Kompetenzen entfalten, denen zwölf Teilkompetenzen (TK) zugeordnet sind.

I. Religionspädagogische Reflexionskompetenz

  • TK 1: Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Religiosität und der Berufsrolle
  • TK 2: Fähigkeit, zum eigenen Handeln in eine reflexive Distanz zu treten

II. Religionspädagogische Gestaltungskompetenz

  • TK 3: Fähigkeit zur theologisch und religionsdidaktisch sachgemäßen Erschließung zentraler Themen des Religionsunterrichts und zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen
  • TK 4: Erzieherische Gestaltungskompetenz
  • TK 5: Fähigkeit zur religionsdidaktischen Auseinandersetzung mit anderen konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Lebens- und Denkformen
  • TK 6: Fähigkeit zur Interpretation und didaktischen Entschlüsselung religiöser Aspekte der Gegenwartskultur
  • TK 7: Wissenschaftsmethodische und medienanalytische Kompetenz
  • TK 8: Religionspädagogische Methoden- und Medienkompetenz

III. Religionspädagogische Förderkompetenz

  • TK 9: Religionspädagogische Wahrnehmungs- und Diagnosekompetenz
  • TK 10: Religionspädagogische Beratungs- und Beurteilungskompetenz

IV. Religionspädagogische Entwicklungskompetenz

V. Religionspädagogische Dialog- und Diskurskompetenz

  • TK 11: Interkonfessionelle und interreligiöse Dialog- und Kooperationskompetenz
  • TK 12: Religionspädagogische Diskurskompetenz“.18

Unter diesen Kompetenzen bieten einige schon auf den ersten Blick Anschlussmöglichkeiten für die Thematisierung des Judentums und des jüdisch-christlichen Verhältnisses – so etwa die Teilkompetenzen 3 (Erschließung zentraler Themen“), 5 („Auseinandersetzung mit anderen […] religiösen […] Lebens- und Denkformen“) und 11 („[…] interreligiöse Dialog- und Kooperationskompetenz“). Allerdings wird in keiner dieser Kompetenzen und ihrer näheren Beschreibung ausdrücklich so auf das Judentum Bezug genommen, so dass die Auseinandersetzung damit als unersetzlich erscheint.

Die heute in Deutschland in Geltung stehenden Studien- und Prüfungsordnungen für das Studium der Evangelischen Theologie bzw. Religion (Pfarramt und Lehramt) sind gehalten, diesen Vorgaben und z.T. komplexen Regelungen genau zu entsprechen. Wenn „Judentum“ und „jüdisch-christlicher Dialog“ darin in der Regel wenig Berücksichtigung finden, dann ist dieser Befund also zu einem guten Teil den Entscheidungen geschuldet, die auf dem Weg zu den beschriebenen Vereinbarungen von verschiedenen Akteuren getroffen wurden.

Will man Grundsätzliches ändern und insbesondere in die Obligatorik der geltenden Rahmenordnungen eingreifen, verlangt dies Änderungen in den bundesweit geltenden Vorgaben – diese wiederum haben dann (da der Gesamtrahmen eines Studiums mit 300 Credits starr definiert ist) unvermeidlich Implikationen bzw. Folgen für die Architektur des Ganzen und den Anteil anderer Themen, Fachgebiete, Personen an diesem Ganzen.

2. Studiendesign
2.1 Erhobene Daten

Um angemessen in den Blick nehmen zu können, ob und wie Judentum und jüdisch-christliches Gespräch im Pfarramtsstudium berücksichtigt werden, wurde ein Dreischritt verabredet:  Zunächst sollten die 20 evangelischen Landeskirchen mit ihren jeweiligen Kirchenordnungen und –verfassungen, in denen sich die vielerorts verabschiedeten Neuorientierungen im -jüdisch-christlichen Verhältnis niederschlagen könnten,19 und die landeskirchlichen Studien- und Prüfungsordnungen untersucht werden. In einem zweiten Schritt rückten die neunzehn evangelisch-theologischen Fakultäten und zwei Kirchlichen Hochschulen mit ihren Studien- und Prüfungsordnungen, den Modulhandbüchern und den jeweiligen Vorlesungsverzeichnissen in den Fokus. Anhand letzterer kommt in den Blick, in welchen Formaten das Themenfeld aufgegriffen  wird (allerdings ohne die tatsächlich stattfindenden Veranstaltungen analysieren zu können). Zusätzlich wurden drittens auch etwaige Selbstdarstellungen der Fakultäten und Hochschulen auf inhaltliche Bezüge zu einem verstärkten Interesse der Einrichtung an jüdisch-christlichen oder genuin judaistischen Inhalten geprüft.

Auf der Seite des Lehramtsstudiengangs standen die universitären Richtlinien für die Studiengänge an den 15 exemplarisch untersuchten Instituten im Vordergrund. Angesichts der Fülle von 34 Instituten wurde entschieden, aus jedem Bundesland einen Standort, vorzugsweise ein Institut für Evangelische Theologie, zu berücksichtigen. Da sich im Bundesland Brandenburg kein Institut für Evangelische Theologie und auch keine Fakultät befindet, konnte hier keine Untersuchung vorgenommen werden. In den Bundesländern (Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt), in deren Gebiet sich kein Institut, aber eine Fakultät befindet, wurden stattdessen diese untersucht.

Nicht jedes Institut bietet sowohl das Lehramtsstudium für die Grundschule als auch für das Gymnasium – von daher unterschied sich der Umfang der jeweils untersuchten Dokumente sehr. Auch der ortsabhängige Unterschied zwischen einem Studium in Bachelor-Master-Struktur oder einem Studium, das mit dem Staatsexamen abgeschlossen wird, sorgt dafür, dass die Studienvorgaben deutlich differieren. Ansonsten handelt es sich bei den untersuchten Dokumenten wie beim Pfarramtsstudium um die Studien- und Prüfungsordnungen, die Modulhandbücher und die Verzeichnisse der Veranstaltungen, die belegt werden können. Zudem wurden die fachspezifischen Lehramtsverordnungen der Bundesländer mit in den Blick genommen, sofern denn das Land über solch eine Ordnung verfügt.

Die Sichtung der Vorlesungsverzeichnisse betrifft sowohl im Pfarramts- als auch im Lehramtsstudium lediglich ein exemplarisches Studienjahr, nämlich Wintersemester 2015/2016 und Sommersemester 2016. Dies schien uns angemessen,  da in der modularisierten Studienordnung jedes Modul im Jahresturnus angeboten werden muss.

Wie oben erwähnt bezieht sich die Untersuchung somit aus pragmatischen Gründen allein auf öffentlich zugängliche Materialien; Lehrveranstaltungen kommen nur soweit in den Blick wie sie in Modulkatalogen und Vorlesungsverzeichnissen beschrieben werden – welche Inhalte tatsächlich in Übung, Seminar oder Vorlesung verhandelt wurden und mit welchen Intentionen dies geschah, bleibt nolens volens unberücksichtigt.

2.2 Problematiken bei der Erhebung

Auch wenn sich die Textbestände, auf die sich die Untersuchung bezieht, auf diese Weise nachvollziehbar beschreiben lassen und alle wesentlichen normativen Vorgaben der verschiedenen Beteiligten (Staat, Kirche, Fakultäten und Institute, Lehrende) Berücksichtigung finden, bleiben sachbedingt charakteristische Unschärfen bestehen. Diese machen sich an drei Fragestellungen fest:

–       Was kann als Lehrveranstaltung gelten, die Judentum und/oder jüdisch-christlichen Dialog thematisiert?

Lehrveranstaltungen, deren Titel und inhaltliche Beschreibung keinen Rückschluss auf einen jüdisch-christlichen oder einen judaistischen Inhalt zuließen, wurden nicht erhoben. Hierunter fielen auch Veranstaltungen, die sich etwa mit allgemeinen alttestamentlichen oder neutestamentlich-zeitgeschichtlichen Themen beschäftigen, diese aber nicht dezidiert in den Bezug zum Judentum stellen, sondern als klassischen Wissensbestand ihrer jeweiligen Disziplin.

–       Was wird tatsächlich unterrichtet?

Wie erwähnt bezieht sich die Untersuchung zu den Lehrveranstaltungen nur auf Modulkataloge und Vorlesungsverzeichnisse. Eine teilnehmende Beobachtung der tatsächlich gehaltenen Lehrveranstaltung oder eine Befragung der teilnehmenden Studierenden oder der Lehrenden fand im Rahmen dieser Studie nicht statt.

–       Welche Verbindlichkeit haben die Veranstaltungen und wie werden sie angerechnet?

Da jeder Studienstandort je nach Studiengang Freiräume in der Ausgestaltung  einer Modulstruktur hat, unterscheiden sich die zu belegenden Module z.T. immens voneinander. Insofern ist die Vergleichbarkeit der Module und der darin zu belegenden Veranstaltungen nicht ohne Weiteres gegeben.

Hinzukommt, dass die einzelnen Standorte ein Modul mit unterschiedlichen vielen Veranstaltungen unterlegen. Während am Standort X nur eine Veranstaltung angeboten wird, um die Modulanfordung A zu erfüllen, bietet Standort Y drei oder vier Veranstaltungen an – dieser Unterschied ist etwa zwischen Instituten und (manchen) Fakultäten zu beobachten.

2.3 Aufarbeitung und Darstellung der Ergebnisse

Im Rahmen dieses Berichtes können die Beobachtungen zu jedem untersuchten Studienstandort nicht en detail nachgezeichnet werden – die Einsichtnahme in die Daten ist jedoch für Interessierte über die drei Autor_innen möglich. Das hat einen pragmatischen und einen sachlichen Grund:  Der pragmatische Grund liegt darin, dass eine solche Nachzeichnung weitaus mehr Platz beanspruchen würde als hier zur Verfügung steht. Der  – weitaus gewichtigere – sachliche Grund besteht darin, dass die Untersuchung nicht darauf zielt, das Lehrangebot einzelner Standorte im Blick auf die in Rede stehende Thematik zu evaluieren. Dies ist auch der Grund dafür, die unten vorgestellten „Fallbeispiele“ (siehe Abschnitte 3.1 bis 3.4) anonym zu verhandeln. Vielmehr dient der – unerlässliche – Blick auf die einzelnen Standorte lediglich dazu, bundesweite Trends und Befunde herauszuarbeiten. Es geht um Auskünfte darüber, in welchem Maße „Judentum“ und „Jüdisch-christlicher Dialog“ im Studium der evangelischen Theologie bzw. Religion Berücksichtigung finden.
Die Befunde zu den einzelnen Landeskirchen und Fakultäten/ Hochschulen (Pfarramt) sowie zu  den einzelnen Bundesländern und Instituten (Lehramt) werden hier stark komprimiert in zwei Tabellen zusammengefasst.

Die ersten drei Spalten geben Auskunft über die Rahmenbedingungen: Von welcher Fakultät bzw. KiHo ist die Rede, zu welcher Landeskirche gehört sie und wie berücksichtigt diese Kirche ihr Verhältnis in ihrer Kirchenordnung bzw. Verfassung? (Pfarramt) Von welchem Institut ist die Rede, zu welchem Bundesland gehört es und welcher Studiengang ist gemeint? (Lehramt)

Die folgenden vier Spalten geben die wichtigsten Befunde wieder. Uns schien es entscheidend wichtig zu sein, ob die Ausbildung das Judentum als solches – sei es in verschiedenen geschichtlichen Epochen, sei es als Religion, Kultur oder Identitätsbestimmung gleich welcher Art, sei es in Gestalt von Texten und Biografien einzelner Personen (von Philo von Alexandrien bis Hannah Arendt) – thematisiert oder das Judentum im Verhältnis zum Christentum. Erstes fällt unter die Kategorie „judaistische“ Veranstaltung oder „judaistisches“ Modul,20 letzteres unter den Begriff „jüdisch-christliche“ Veranstaltung. In beiden Fällen ist nicht davon auszugehen, dass Jüdinnen und Juden als Lehrende oder Studierende anwesend sind – zwar kann dies der Fall sein, doch spielt dies für die Untersuchung keine Rolle. Um das Gewicht dieser Thematik in der Ausbildung einschätzen zu können, ist außerdem maßgeblich, ob eine Veranstaltung zu diesen Themen von den Studierenden besucht werden muss (obligatorische Veranstaltung bzw. obligatorisches Model/Element) oder lediglich bei entsprechendem Interesse besucht werden kann (fakultative Veranstaltung). Studientechnisch spiegeln solche fakultativen Angebote eine ganz andere Wertigkeit:  Das fakultative Lehrangebot ist häufig nicht an bestimmte Module gebunden und kann deshalb auf verschiedenen Wegen in die Studienstruktur integriert werden. Gleichzeitig ist eben auch eine Nicht-Belegung möglich, die Studienleistung kann auch durch eine andere Veranstaltung, ggf. zu einem völlig anderen Thema (bspw. zum „Islam“ statt zum „Judentum“) abgedeckt werden. Entsprechende Wahl der Studierenden vorausgesetzt, kann „fakultativ“ in der Praxis also heißen, dass der Kontakt mit der Thematik ausbleibt.

Im Licht dieser Unterscheidungen ergeben sich vier Kombinationen:

  • Obligatorische judaistische oder jüdisch-christliche Module bzw. Veranstaltungen (Kategorie I und II) und
  • Fakultative judaistische oder jüdisch-christliche Veranstaltungen (Kategorie III und IV).

Bei entsprechenden Modulen wurde jeweils eine genauere Auswertung nach Art des Moduls (Basis- oder Aufbaumodul, Wahlpflichtmodul, Wahlmodul, Zusatzmodul usw.) vorgenommen.

Die vier Kategorien wurden darüber hinaus nach einem numerischen Schlüssel mit einer Grauabstufung ausgewertet:

  • Dunkelgrau: Es gibt keine Lehrveranstaltungen in dieser Kategorie in den beiden untersuchten Semestern.
  • Mittelgrau: Es gibt weniger als fünf Lehrveranstaltungen in dieser Kategorie in den beiden untersuchten Semestern.
  • Hellgrau: Es gibt mehr als fünf Lehrveranstaltungen in dieser Kategorie in den beiden untersuchten Semestern.

Blickt man auf die quantitative Auswertung, fällt auf, dass hier größere Unterschiede vorliegen: Teilweise stehen hinter einer positiv ausgewerteten Kategorie einzelne Lehrveranstaltungen, zum Teil handelt es sich aber auch um eine weitaus höhere Anzahl. Diese Differenzen werden durch die oben ausgeführte Grauabstufung deutlicher herausgestellt.

In der letzten Spalte (ganz rechts) werden unter der Überschrift „Bemerkungen“ studienortsspezifische Besonderheiten benannt, z.B. jüdisch-christliche Institute oder Lehrstühle mit entsprechender Ausrichtung.

Abb. 1: Übersicht Landeskirchen und Fakultäten/ Kirchliche Hochschulen
Abb. 2: Übersicht Bundesländer und Institute, ggf. Fakultät

3. Ergebnisse

Im Folgenden soll dieses Untersuchungsraster anhand von vier Fallbeispielen materialiter gefüllt und erläutert werden, bevor die allgemeinen Ergebnisse in den Blick genommen und daraus die Quintessenzen gefolgert werden.

3.1 Fallbeispiel 1 – Pfarramt

Auf der Ebene der Landeskirche war das erste untersuchte Dokument zu jedem Pfarramtsstudienstandort die landeskirchliche Verfassung oder Grundordnung. In diesem ersten Fallbeispiel fand sich dort – anders als bei vielen anderen Landeskirchen21 – keine Erwähnung des Judentums an sich und keine Aussage zum Verhältnis der betreffenden Kirche zum Judentum. Die landeskirchliche Prüfungsordnung für das Kirchliche Examen/ den Magister Theologiae an dem untersuchten Standort regelt lediglich Formalia und nennt keine konkreten Inhalte des Studiums außer den klassischen theologischen Disziplinen als Prüfungsfächern. Weitere Ordnungen, z.B. zu möglichen Praktikumsfeldern, wie sie sich in anderen Landeskirchen finden, gab es für das Fallbeispiel 1 nicht. Einen möglichen Anknüpfungspunkt auf landeskirchlicher Seite stellen in diesem Fall die jährlichen Studierendentagungen dar, bei denen die Studierenden das Thema der Tagung selber wählen können. In den letzten Jahren wurde dies aber nicht für ein judaistisches oder jüdisch-christliches Thema genutzt.

In diesem ersten Fallbeispiel finden sich in der Selbstdarstellung der Fakultät auf der Homepage mehrere Verweise auf interreligiöse Lehre und Forschung. Ein konkreter Bezug zur jüdisch-christlichen Thematik wird nicht angeführt. Die Studien- und Prüfungsordnung der Fakultät listet ein Basis- und ein Aufbaumodul Religionsgeschichte als obligatorische Studieninhalte auf. Bereits in der Ordnung wird deutlich, dass der Schwerpunkt dabei auf dem Islam liegt, was sich anhand der im Vorlesungsverzeichnis ausgewiesenen Veranstaltungen bestätigte. Auch das Modulhandbuch des Studienortes sieht kein dezidiert judaistisches oder jüdisch-christliches Modul im Studiengang Magister Theologiae vor. Allerdings sind die Modulbeschreibungen zumeist sehr offen formuliert, sodass ein thematischer Anschluss in den meisten Modulen möglich wäre.

Im exemplarisch untersuchten Studienjahr 2015/16 wurden in diesem Fallbeispiel in den genannten religionsgeschichtlichen Modulen zwei Überblicksvorlesungen angeboten, die sich mit den Weltreligionen im Allgemeinen beschäftigen, wobei angenommen werden darf, dass das Judentum neben den anderen großen Religionen mit behandelt wurde. Damit handelt es sich hierbei allerdings um keine genuin judaistische oder jüdisch-christliche Lehrveranstaltung. Unter den weiteren Veranstaltungen finden sich zwei, die zu judaistischen Themen gehalten werden. Eine Veranstaltung zu einer jüdisch-christlichen Thematik findet sich nicht.

Das Ergebnis der Sichtung lässt sich für diesen Standort somit wie folgt zusammenfassen:

Abb. 3: Übersicht zum anonymisierten Fallbeispiel 1: Pfarramt

3.2 Fallbeispiel 2 – Pfarramt

Das zweite Fallbeispiel zum Pfarramt stellt sich bereits auf der landeskirchlichen Ebene anders da: Die Verfassung / Grundordnung der betreffenden Kirche beruft sich an einer prominenten Stelle auf die Verbindung des Christentums und damit dieser Landeskirche zum Judentum. Außerdem äußert sie explizite Versöhnungsbestrebungen auf Grund ihrer geschichtlichen Verantwortung und erklärt sich ausdrücklich zur Förderung der Begegnung mit dem Judentum bereit. Die landeskirchliche Prüfungsordnung macht wie im ersten Fallbeispiel keine inhaltlichen Vorgaben, sondern regelt Formalia; in diesem Rahmen werden auch hier nur die theologischen Kernfächer ohne eine weitere Ausführung genannt. Weitere Ordnungen zum Examen oder zu den Praktika finden sich in dieser Landeskirche nicht.

Die Fakultät/ Kirchliche Hochschule auf dem Gebiet der Landeskirche betont in ihrer Selbstdarstellung auf der fakultätseigenen Homepage den interreligiösen Kontext des Studiengangs. Eine inhaltliche Konkretion findet sich nicht in der Studien- und Prüfungsordnung, wohl aber im Modulhandbuch des Studiengangs, welcher ein Basismodul und ein Aufbaumodul mit explizit judaistischem Inhalt beinhaltet. In diesen beiden Modulen müssen jeweils drei Veranstaltungen belegt werden, von denen je eine Veranstaltung im Fachgebiet Judaistik liegen muss. Außerdem wäre es auch hier möglich, die Thematik in etlichen anderen Modulen aufzugreifen – die meisten Modulbeschreibungen ließen dies zu.

Inwieweit dies in der Praxis geschieht, lässt sich  anhand der tatsächlich angebotenen Veranstaltungen  feststellen:

Neben den beiden bereits erwähnten Modulen mit obligatorischem judaistischem Anteil finden sich überdurchschnittlich viele Veranstaltungen zu judaistischen und jüdisch-christlichen Themen, die in sechs unterschiedlichen Modulen angerechnet werden können. Zusätzlich gibt es zahlreiche judaistische Veranstaltungen, die im Wahlbereich angerechnet werden können, und einige Lehrveranstaltungen zu verwandten Themen, etwa zu den Schriften Hannah Arendts.

Eine Besonderheit dieses Standortes ist es, dass es an der Fakultät/ Kirchlichen Hochschule eine eigene Professur für Judaistik gibt, die viele der angebotenen Veranstaltungen betreut.

In Anbetracht dessen ergibt sich folgende Übersicht:

Abb. 4: Übersicht zum anonymisierten Fallbeispiel 2: Pfarramt

3.3 Fallbeispiel 3 – Lehramt an einer Fakultät

Am Standort des ersten Fallbeispiels für das Lehramtsstudium kann nur Evangelische Theologie für das gymnasiale Lehramt studiert werden, die Fakultät bietet das Fach nicht für das Grundschullehramt an. Die Studien- und Prüfungsordnungen für die beiden aufeinander aufbauenden Studiengänge der Fakultät für das Gymnasiallehramt (B.A. und M.Ed.) listen die im Studium zu absolvierenden Module auf, welche dann in der Modulordnung weiter ausgeführt werden. Eine eigene Ordnung des Bundelandes für das Lehramt gibt es in diesem Fall nicht.

In den Modulbeschreibungen des Bachelorstudiengangs findet sich ein Modul, das sich mit dem Vergleich mehrerer Religionen beschäftigt. Die Beschreibung gibt dabei keine konkreten Themenvorschläge, sodass sich hier keine explizite Erwähnung des Judentums oder einer jüdisch-christlichen Thematik findet. Im Masterstudiengang nennen zwei von acht Modulen den interreligiösen Dialog in ihren Inhaltsbeschreibungen, konkretisieren ihn aber nicht auf den jüdisch-christlichen Dialog. Ein drittes Modul beschäftigt sich mit den Weltreligionen, auch hier ohne eine konkretere inhaltliche Vorgabe. Somit gibt es in den Studiengängen kein dezidiert judaistisches oder jüdisch-christliches Modul und auch keine obligatorischen Lehrveranstaltungen zu diesen Themen.

Bei der Betrachtung der praktischen Umsetzung in den beiden untersuchten Semestern findet sich an der Fakultät eine Vielzahl an jüdisch-christlichen Veranstaltungen, die sich verschiedentlich in den Modulen anrechnen lassen. Judaistische Themen finden sich bei deutlich weniger Lehrveranstaltungen, werden aber ebenfalls angeboten. Diese lassen sich allerdings nur im Masterstudiengang anrechnen. Beachtenswert ist hierbei, dass die Veranstaltungen sich über wesentlich mehr Module verteilen, als es die Modulbeschreibungen vermuten lassen. Im Bachelorstudiengang lässt die Anrechnung eine Zuordnung der angebotenen Veranstaltungen zu sechs von acht Modulen und im Masterstudiengang zu fünf von acht Modulen zu, was eine breite Streuung der Thematik durch das Studium begünstigt.

Das Ergebnis stellt sich für diesen Studienstandort so dar:

Abb. 5: Übersicht zum anonymisierten Fallbeispiel 3: Lehramt an einer Fakultät

3.4 Fallbeispiel 4: Lehramt an einem Institut

Im Falle des letzten Fallbeispiels gibt es keine fachspezifischen Studien- und Prüfungsordnungen, die Fächer konkretisieren ihre Inhalte erst in den Modulhandbüchern, die auf einer fächerübergreifenden Ordnung beruhen. In den Modulbeschreibungen der insgesamt vier Studiengänge für B.A. und M.Ed. an Grundschulen und Gymnasien wird verschiedentlich auf judaistische und jüdisch-christliche Inhalte eingegangen.
  • Im B.A. für das Grundschullehramt (B.A. GS) beschäftigt sich ein Modul mit den Weltreligionen, das Judentum wird als ein möglicher Inhalt genannt.
  • Im B.A. für das Gymnasiallehramt (B.A. Gym) ist in einem Modul das Judentum und in einem weiteren Modul der interreligiöse Dialog als ein Schwerpunkt aus mehreren wählbar.
  • Im M.Ed. für das Grundschullehramt (M.Ed. GS) und im M.Ed. für das Gymnasiallehramt (M.Ed. Gym) wird jeweils in zwei Modulen interreligiöses Lernen und interreligiöse Didaktik als Inhalt angegeben, aber nicht auf den jüdisch-christlichen Kontext beschränkt. Beide Studiengänge beinhalten ein Modul, welches sich mit den Weltreligionen, erneut nicht konkret mit dem Judentum, beschäftigt und ein Modul, in dem das jüdisch-christliche Verhältnis als ein Themenbeispiel genannt wird, aber nicht verpflichtend Inhalt des Moduls ist.
Der Blick in die Vorlesungsverzeichnisse zeigt eine sehr geringe Anzahl an jüdisch-christlichen Veranstaltungen, die sich aber in verschiedenen Modulen anrechnen lassen und somit eine größere Anzahl an Studierenden erreichen. Das Ergebnis in der Übersicht:
Abb. 6: Übersicht zum anonymisierten Fallbeispiel 4: Lehramt an einem Institut

3.5 Vergleich Pfarramt

Im direkten Vergleich sämtlicher Landeskirchen und Fakultäten/ Kirchlichen Hochschulen miteinander lassen sich deutliche Unterschiede erkennen:
  • 14 von 20 Landeskirchen verweisen in ihren Ordnungen/ Verfassungen auf eine Verbindung zum Judentum. Keine Erwähnung findet sich in den Grundordnungen der Ev. Landeskirche Anhalts, der Bremischen Ev. Kirche, der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, der Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe und der Ev. Landeskirche in Württemberg.
  • Keine Fakultät legt in ihrer Studien- und Prüfungsordnung bzw. in den Modulhandbüchern ein Modul zum Thema „jüdisch-christliches Verhältnis“ bzw. „jüdisch-christlicher Dialog“ fest. Folglich gibt es nirgendwo (!) obligatorische jüdisch-christliche Veranstaltungen.
  • An drei von 18 Fakultäten/ Kirchlichen Hochschulen gibt es mindestens ein obligatorisches judaistisches Modul oder ein Modul, was eine judaistische Veranstaltung beinhalten muss: Göttingen, Frankfurt (Main), Mainz.
  • Sechs Fakultäten/ Kirchliche Hochschulen (Neuendettelsau/ Kirchliche Hochschule Augustana, Berlin, Göttingen, Jena, Leipzig und Tübingen) bieten mehr als fünf fakultative Lehrveranstaltungen mit jüdisch-christlichen Lehrinhalten an. An 13 Standorten sind es weniger als fünf Veranstaltungen und an zwei Orten (Marburg und Rostock) gibt es keine Lehrveranstaltungen zu diesem Themenkomplex.
  • Ebenfalls an sechs Standorten (Heidelberg, Göttingen, Mainz, Leipzig, Münster und Tübingen) werden mehr als fünf fakultative judaistische Veranstaltungen angeboten. 12 Standorte bieten weniger als fünf Lehrveranstaltungen an und an drei Studienorten (Neuendettelsau/ Kirchliche Hochschule Augustana, Bonn und Kirchliche Hochschule Wuppertal) gibt es keine Veranstaltungen zu diesem Thema.
  • Je drei Fakultäten/ Kirchliche Hochschulen haben entweder eine Professur für Judaistik oder ein verwandtes Themenfeld (Göttingen, Frankfurt (Main), Mainz) oder ein angegliedertes Institut mit einer entsprechenden thematischen Ausrichtung (Neuendettelsau/ Kirchliche Hochschule Augustana, Berlin, Münster). An einer Fakultät gibt es Forschungsstelle zum Judentum (Leipzig).
  • Die drei Fakultäten mit eigenen Judaistikprofessuren sind auch die Standorte, an denen es obligatorische judaistische Veranstaltungen/ Module gibt: Göttingen, Frankfurt (Main) und Mainz.
  • Es besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen der landeskirchlichen Erwähnung des Judentums in ihrer Ordnung und den Lehrangeboten an den Studienorten: Obwohl die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens keine Bezüge zum Judentum in ihrer Ordnung aufführt, gibt es an der Leipziger Fakultät eine große Anzahl an Lehrveranstaltungen, die zu einem großen Teil durch die oben genannte Forschungsstelle bedient werden.

3.6 Vergleich Lehramt

Allgemein fällt in den Lehramtsstudiengängen eine sehr viel geringere Anzahl an Veranstaltungen zu einem judaistischen oder jüdisch-christlichen Thema auf. An den Instituten sind es in aller Regel deutlich weniger Veranstaltungen als an den Fakultäten, die über eine weitaus höhere Lehrkapazität verfügen. Die Auswertung zeigt im direkten Vergleich der Lehramtsstudienstandorte folgende hervorstechende Ergebnisse:
  • Nur zwei Prüfungsordnungen der Bundesländer (Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt) verweisen auf den interreligiösen Dialog als Studieninhalt. Die bayerische Prüfungsordnung nennt Grundkenntnisse des Judentums als Zulassungsvoraussetzung. In den staatlichen Prüfungsordnungen  ist das Themenfeld des Interreligiösen Lernens im Allgemeinen und dasjenige des Judentums bzw. des jüdisch-christlichen Verhältnisses unterbestimmt.
  • An keinem Institut/ keiner Fakultät gibt es in den Lehramtsstudiengängen obligatorische Module/ Veranstaltungen zu einem jüdisch-christlichen Thema.
  • Nur am Institut für Evangelische Theologie in Saarbrücken gibt es ein Pflichtmodul zur Einführung in die Religionswissenschaft, in dem jeweils eine judaistische Veranstaltung zu belegen ist, in den Lehramtsstudiengängen für die Sekundarstufe I und II (nicht für die Primarstufe).
  • Nur an der Berliner Fakultät werden mehr als fünf fakultative jüdisch-christliche Veranstaltungen sowohl für den Bachelor-, als auch für den Masterstudiengang für das gymnasiale Lehramt angeboten. Weniger als fünf Veranstaltungen werden an insgesamt sechs Instituten und Fakultäten angeboten (je nach Schulform lassen sich allerdings nicht alle Veranstaltungen für jeden Studiengang anrechnen):
  • Hamburg, Gießen (nur für Gym), Osnabrück (nur als Haupt- oder Kernfach für Gym), Köln (nur im B.A. Gym & GS), Koblenz-Landau (nur im B.A. Gym & GS) und Dresden.
  • Kein Institut/ keine Fakultät bietet mehr als fünf fakultative judaistische Lehrveranstaltungen an. An fünf Instituten und an vier Fakultäten werden weniger als fünf Veranstaltungen zu einem judaistischen Thema angeboten:
    • Karlsruhe, Berlin (nur im M.Ed.), Bremen (in allen B.A.-Studiengängen und im M.Ed. GS mit Ev. Theologie als kleines Fach), Hamburg (nur im B.A. und M.Ed. GS), Rostock, Koblenz-Landau (nur im B.A. Gym & GS), Saarbrücken (nur für GS), Halle (nur für Gym) und Erfurt (nur im B.A.).
  • Ein besonderer Fall liegt bei der Europa-Universität Flensburg vor: Im B.A. Bildungswissenschaften, Fach Evangelische Religion ist der interreligiöse Dialog, nicht spezifiziert auf den Dialog mit dem Judentum, das Thema von zwei der sieben Pflichtmodule und kann in einem von vier Wahlpflichtmodulen thematisch vertieft werden.

4. Quintessenzen

Die in Abschnitt 3 dargestellten Ergebnisse unserer Erhebung lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

4.1 Wenig Pflicht, viel Kür

Zu den wohl offensichtlichen Befunden der Erhebung hat zu zählen, dass sich auf der Ebene der Module der Studiengänge Pfarr- und Lehramt nur sehr wenige obligatorische Veranstaltungen im Bereich der Judaistik sowie gar keine verbindlichen Veranstaltungen im Bereich des jüdisch-christlichen Dialogs finden lassen. In beiden Studienrichtungen ist eine Auseinandersetzung mit judaistischen und/oder jüdisch-christlichen Lehrinhalten für die Studierenden in der Regel also nicht fest vorgesehen.

Bei der genaueren Durchsicht der Ergebnisse lässt sich allerdings feststellen, dass die allermeisten Fakultäten für ihre Pfarramtsstudierenden und einige Institute bzw. Fakultäten für ihre Lehramtsstudierenden in den fakultativen Wahlpflichtbereichen der jeweiligen Studiengänge sowohl Lehrveranstaltungen mit einem judaistischen als auch mit einem jüdisch-christlichen Schwerpunkt anbieten. Sie zu besuchen, ist für die Studierenden möglich, aber eben nicht verpflichtend.

4.2 Festschreibung in einem Pflichtmodul besser als Einordnung in Wahlpflichtbereich

Vor dem Hintergrund des durchaus vorhandenen judaistischen und/oder jüdisch-christlichen Lehrangebots in den Wahlpflichtbereichen der allermeisten theologischen Fakultäten und vieler Institute ist zu beachten, dass zwischen diesen fakultativen Studienangeboten einerseits und den verbindlichen Lehrinhalten der Module andererseits ein starkes Ungleichgewicht herrscht.

Werden judaistische und jüdisch-christliche Lehrinhalte nur im Wahlpflichtbereich der Pfarr- und Lehramtsstudiengänge angeboten, erreichen sie in der Regel allein die daran bereits interessierten und/oder dazu bereits informierten Studierenden. Würden sie hingegen in die Modulstruktur der Studiengänge integriert, kämen alle Studierenden mit judaistischen und/oder jüdisch-christlichen Themen, Fragestellungen und Erkenntnissen in Kontakt.

Obwohl nebeneinander abgebildet, sind die Eintragungen in der oben abgebildeten Ergebnisstabelle also nicht gleichwertig: Es macht einen großen Unterschied, ob die Veranstaltungen obligatorisch oder fakultativ angeboten werden (s. entsprechende Spalten oben). Statt aller erreichen Lehrveranstaltungen im Wahlpflichtbereich immer nur einzelne Studierende, sind nicht konstitutiver Bestandteil des jeweils studierten Studiengangs und konkurrieren so – was die Aufmerksamkeit, Arbeitszeit und Arbeitskraft der Studierenden angeht – mit allen Pflicht- und allen anderen Wahlpflichtveranstaltungen. Dabei ist natürlich zu bedenken, dass die Qualität von Lehrveranstaltungen keineswegs von ihrer Ein- oder Ausgebundenheit in den Studiengang abhängt, sie in der Rezeption der Studierenden ja sogar leiden kann, werden die Veranstaltungen als reines „Pflichtprogramm“ im Rahmen eines Studiengangs wahrgenommen. Es scheint an dieser Stelle daher eine grundsätzliche Entscheidung darüber von Nöten zu sein, ob judaistische und/oder jüdisch-christliche Lehrveranstaltungen verbindlich in die Pfarr- und Lehramtsstudiengänge zu integrieren sind oder fakultativ  belassen werden sollten und sie damit dem (bereits bestehenden) Interesse und der Eigenmotivation der Studierenden anheimzustellen.

4.3 Einordnung in die Religionswissenschaft als Chance und Gefahr

Möchte man judaistische Lehrinhalte in den obligatorischen Bereich eines Pfarramtsstudiums ein- oder überführen, existiert dazu mit dem Modul „Religionswissenschaft und Missionswissenschaft bzw. Interkultureller Theologie“ bereits eine Möglichkeit. Diese Form der Integration birgt neben ihrer Chance aber auch die Gefahr, dass das Judentum dabei von Studierenden (und Lehrenden) nur als eine von vielen „Fremdreligionen“ betrachtet und somit nicht als besonders relevant bzw. konstitutiv für die eigene christliche Identität und als Teil der Glaubens- und Religionsgeschichte wahrgenommen wird. In Bezug auf das Lehramtsstudium ergibt sich ein ähnlich gelagertes Problem, wenn dort judaistische Lehrinhalte in Form „interreligiöser Kompetenzen“ in die Studienprogramme integriert und so dem interreligiösen Dialog im Allgemeinen zugerechnet werden. Auch hier besteht das Risiko, die Besonderheiten des jüdisch-christlichen Dialogs und des Judentums gegenüber anderen Formen und Gesprächspartnern des interreligiösen Dialogs (Islam, Buddhismus, Hinduismus, …) zu verkennen.

4.4 Entscheidendes Gewicht von Personen und Einrichtungen

Die Ergebnisse in Bezug auf den Wahlpflichtbereich zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen jüdisch-christlichen und judaistischen Lehrangeboten einerseits und daran interessierten und dazu forschenden Personen und Einrichtungen andererseits.

Sind entsprechende Lehrinhalte nicht im obligatorischen Programm der Studiengänge enthalten, so ist dies in der Regel dem Umstand geschuldet, dass kein spezifisch qualifiziertes oder Interessiertes Lehrpersonal zur Verfügung steht oder die Strukturen ein verlässliches Lehrangebot nicht erlauben (Institutsgröße, Forschungszusammenhänge etc.). Demgegenüber werden an Orten, wo Institute oder Professuren mit entsprechenden Forschungsprofilen bzw. Denominationen existieren – das zeigen die Ergebnisse der Erhebung –,deutlich mehr judaistische und/oder jüdisch-christliche Lehrveranstaltungen angeboten als dies an anderen Fakultäten ohne entsprechende Einrichtungen der Fall ist.

Wie für jeden Lehr-Lernprozess erweisen sich auch für Lehrveranstaltungen zum „Judentum“ und zum jüdisch-christlichen Verhältnis die Personen als entscheidende Größen. Dies birgt Chancen, stellt aber für eine strukturelle Verankerung der Thematik im Studium eine Herausforderung dar. Wo judaistische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte allein von einer oder mehreren Personen abhängen, steht und fällt das Lehrangebot mit der Anwesenheit und den Forschungs- und Lehrinteressen des entsprechenden Lehrpersonals.

4.5 Quantitative Unterschiede: Pfarramt/Lehramt und Fakultäten/Institute

Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, dass es in den Lehramtsstudiengängen „Evangelische Religion“ noch weniger obligatorische und fakultative Lehrveranstaltungen in den Bereichen Judaistik und/oder jüdisch-christlicher Dialog gibt als in den Studiengängen „Ev. Theologie“, die auf das Pfarramt zielen.

Naheliegende Gründe hierfür sind einerseits in den geradezu dramatischen Unterschieden zwischen der Anzahl der Leistungspunkte, die Lehramts- und Pfarramtsstudierende im Fach „Evangelische Theologie“ zu absolvieren haben, und andererseits in den nicht minder dramatisch unterschiedlich großen Lehrkapazitäten der der Studienorte zu suchen: In Bezug auf die Studiengänge ist offensichtlich, dass Pfarramtsstudierende in ihrem Studiengang ausschließlich evangelische Theologie studieren und demensprechend viel mehr theologische Module belegen  als dies bei Lehramtsstudierenden der Fall ist, die immer noch gleichzeitig eine zweites oder erstes anderes Schulfach studieren und Pädagogikstudien absolvieren. Auf der Ebene der Studienorte bezieht sich die quantitative Ungleichheit allein auf die Lehramtsausbildung: Sie findet in Deutschland nicht nur an theologischen Fakultäten, sondern auch an verschiedenen Instituten statt. Diese haben im Vergleich zu den Fakultäten meist gänzlich andere strukturelle und personelle Voraussetzungen, müssen an ihnen doch oft zwei oder drei Lehrstühle alle Bereiche der theologischen Ausbildung abdecken. Dies führt dazu, dass an Instituten und Abteilungen die Hürden, judaistische und/oder jüdisch-christliche Lehrinhalte in das Lehramtsstudium zu integrieren, weitaus höher sind als an besser ausgestatteten Fakultäten und entsprechend weniger Veranstaltungen aus diesen Fachbereichen angeboten werden können.

4.6 Mangel an Begegnung mit dem Judentum und dessen (wissenschaftlichen) Vertretern

Die didaktische Vermittlung judaistischer und jüdisch-christlicher Lehrinhalte an theologischen Fakultäten in Deutschland geschieht dort, wo sie geschieht, in der Regel selbst wiederum nur „vermittelt“, nämlich stellvertretend bzw. einseitig durch christliche Wissenschaftler_innen, nicht aber durch ihre Kolleg_innen jüdischen Glaubens.

Grund dafür ist, dass als (fest angestellte bzw. berufene) Lehrende an evangelischen Fakultäten und Instituten de jure nur evangelische Theologinnen und Theologen vorgesehen sind. Jüdische Wissenschaftler_innen können hingegen nur als Gäste der jeweiligen Einrichtungen aktiv werden. Dies gilt auch für Judaistik-Professuren an evangelischen Fakultäten.

Für die theologische Ausbildung, insbesondere in den Bereichen der Judaistik und des jüdisch-christlichen Dialogs, bedeutet dies einen bedauernswerten Mangel an Begegnung der Studierenden mit jüdischen Lehrenden, wissenschaftlichen Vertretern der jüdischen Religion. Eine Begegnung mit dem Judentum außerhalb der Universität, aber innerhalb des Studiums ist ebenfalls nur schwer zu realisieren, lassen sich etwa punktuelle Treffen mit Glaubensvertretern oder Besuche jüdischer Einrichtungen und Gotteshäuser nicht in einer Prüfungs- oder Studienordnung festschreiben. Eine, wenn man so will, „authentische“ Begegnung der Studierenden mit dem Judentum bedeutet daher in der Regel bestenfalls: Lektüre von Texten jüdischer Autor_innen; ggf. können Besuche in Synagogen oder Exkursionen etwa nach Israel hinzukommen.

4.7 Jüdisch-christlicher Dialog / Judaistik nirgends obligatorischer Gegenstand des Examens

In Bezug auf das Pfarramtsstudium gibt es  noch eine andere Regulierungsmöglichkeit der Landeskirchen, die nicht genutzt wird. So sind insbesondere die Ordnungen für das Kirchliche Examen diesbezüglich stumm. In keiner Landeskirche sind Themen des jüdisch-christlichen Dialogs obligatorischer Bestandteil des theologischen Examens, obwohl doch dort vorrangig theologisches Grundwissen geprüft wird und etliche Landeskirchen ihr Verhältnis zum Judentum für theologisch grundlegend erklärt haben.

Die Landeskirchen könnten an dieser Stelle – ohne komplizierte Regelungsbedarfe – zeigen, wie wichtig ihnen das Thema ist. Im Falle der Lehramtsstudiengänge gibt es diese Steuerungsmöglichkeit (leider) nicht.

4.8 Asymmetrie zwischen kirchlichem Selbstverständnis und theologische Ausbildung

Die letzte wesentliche und hier festzuhaltende Beobachtung im Anschluss an unsere Erhebung betrifft in Aufnahme des soeben Gesagten  das Verhältnis von kirchlichem Selbstverständnis und theologischer Ausbildung.

Zwar ist  positiv hervorzuheben, dass von insgesamt 20 Landeskirchen in Deutschland 14 in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ihre Grundordnungen und Kirchenverfassungen geändert und darin einen Bezug ihrer Kirche zum Judentum aufgenommen haben (s. Spalte 1 der Ergebnistabelle).22 Setzt man dieses Faktum nun aber in Beziehung zu den weiteren, hier beschriebenen Ergebnissen unserer Erhebung, so fällt eine deutliche Asymmetrie zwischen den so geäußerten kirchlichen Ansprüchen an das kirchlich/christliche-jüdische Verhältnis einerseits und den Inhalten der jeweiligen theologischen Ausbildung andererseits ins Auge.

Landeskirchen, die für sich die jüdisch-christliche Beziehung als identitätsrelevant erkannt haben, sollten diese daher konsequenterweise auch als ausbildungsrelevant verstehen und sich (zusammen mit den theologischen Fakultäten) um die Integration judaistischer und jüdisch-christlicher Lehrinhalte in das Pfarr- und Lehramtsstudium bemühen. Nur so können zukünftige Pastor_innen und Religionslehrer_innen in einem als konstitutiv verstandenen, aber bislang vernachlässigten Bereich der evangelischer Theologie sprachfähig werden und nur so lässt sich auch ein Widerspruch zwischen kirchlichem Selbstverständnis und theologischer Ausbildung in Bezug auf das Verhältnis zum Judentum und das jüdisch-christliche Gespräch vermeiden.

Fußnoten

  1. Rat der Evangelischen Kirche Deutschland (Hg.), Christen und Juden III. Schritte zur Erneuerung im Verhältnis zum Judentum. Eine Studie der Evangelischen Kirche Deutschland, Gütersloh 2000, hier 105.
  2. Alexander Deeg, Predigt und Derascha. Homiletische Textlektüre im Dialog mit dem Judentum, APTLH 48, Göttingen 2006, hier 32.
  3. Vgl. Andreas Zick und Beate Küpper, Antisemitische Mentalitäten: Bericht über Ergebnisse des Forschungsprojektes Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und Europa. Expertise für den Expertenkreis Antisemitismus, Berlin 2011. Vgl. dazu auch die Handreichung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAGKR) zum Thema Antisemitismus, abrufbar unter http://bagkr.de/wordpress/wp-content/uploads/2016/02/BAGKR_Antisemitismus_ende.pdf, Stand 25.02.2016. Auch die Studie von Zick und Küpper ist auf der Seite der BAGKR bereitgestellt unter http://www.bagkr.de/wp-content/uploads/kuepper_zick_antisemitismus_2011.pdf, Stand 25.02.2016.
  4. Vgl. Kundgebung „Martin Luther und die Juden – Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum“, Beschluss der 2. Tagung der 12. Synode der EKD, 8. bis 11. November 2015 Bremen, am 11. November 2015, https://www.ekd.de/synode2015_bremen/beschluesse/s15_04_iv_7_kundgebung_martin_luther_und_die_juden.html, Stand 25.02.2016.
  5. 5. Ebd.
  6. Über Ihre Anregungen und Fragen zum Projekt sowie Möglichkeiten der Unterstützung freuen wir uns sehr. Kontakt: marie.hecke@theologie.uni-goettingen.de.
  7. Vgl. etwa Bernd Schröder: Warum soll das Judentum prüfungsrelevanter Bestandteil der Ausbildung der Theologiestudierenden sein? In: Nun gehe hin und lerne – Themenheft  2017 des Deutschen Koordinierungsrates der  Gesellschaften für Christlich-jüdische Zusammenarbeit, Bad Nauheim 2017, 15-17.
  8. Für das Zustandekommen der Studie ist herzlich zu danken Dr. Christian Staffa und Aline Seel, Berlin, für Initiative und Beratung, zudem den Geldgebern, also den o.g. Landeskrichen sowie der Evangelischen Akademie Berlin, und der Initiatorin, der AG Christen und Juden beim DEKT.
  9. Eine Übersicht über die Standorte der Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen sowie deren Programme bietet www.ekd.de/theologiestudium/studium/studienorte.html (Zugriff am 10.4.2017).
  10. Eine Übersicht über die Standorte der Institute und deren Programme bietet http://kiet.online/?page_id=18 (Zugriff am 10.4.2017).
  11. Zum Vergleich: Das Theologiestudium mit dem Berufsziel Pfarramt umfasst 300 Credits, die etwa 9.000 Arbeitsstunden entsprechen.
  12. Vgl. dazu Lisa J. Krengel: Die evangelische Theologie und der Bologna-Prozess: eine Rekonstruktion der ersten Dekade (1999 - 2009), Leipzig 2011 (Arbeiten zur Praktischen Theologie 48).
  13. Dokumentiert sind diese Regelungen in: Theologische Ausbildung in der EKD. Dokumente und Texte aus der Arbeit der Gemischten Kommission/Fachkommission I zur Reform des Theologiestudiums (Pfarramt und Diplom) 1993 – 2004, im Auftrag der Gemischten Kommission/Fachkommission I hrsg. von Michael Ahme und Michael Beintker, Leipzig 2005, sowie Theologische Ausbildung in der EKD. Dokumente und Texte aus der Arbeit der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums/Fachkommission I (Pfarramt, Diplom und Magister Theologiae) 2005 – 2013, im Auftrag der Gemischten Kommission/Fachkommission I hrsg. von Michael Beintker und Michael Wöller. Unter Mitarbeit von Michael Beyer und Alexander Dölecke, Leipzig 2014.
  14. Empfehlungen der Gemischten Kommission / Fachkommission I für den Studiengang Ev. Theologie“ (Pfarramt / Diplom / Magister Theologiae) (2008), in: Beintker / Wöller, Theologische Ausbildung 2005 – 2013 (s.o. Anm. 6), hier 69-76.
  15. Theologische Ausbildung in der EKD: Dokumente und Texte […] 2005 - 2013, hg. von Michael Beintker und Michael Wöller, Leipzig 2014 (s.o. Anm. 7), 103-108, hier 107.
  16. Vgl. exemplarisch das Papier der KMK: „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ aus dem Jahr 2004; siehe http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung.pdf (Zugriff am 10. April 2017).
  17. Eine Veröffentlichung maßgeblicher Texte zum Lehramtsstudium Evangelische Religion aus diesen Gremien, analog zu den in Anm. 6 genannten Dokumentationen, ist in Vorbereitung.
  18. Kirchenamt der EKD (Hg.): Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz - Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung. Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums, Hannover 2009 (EKD-Texte 96), hier 20f.
  19. Vgl. „Die Kirchen und das Judentum“. Bd.1: Dokumente von 1945 bis 1985. Gemeinsame Veröffentlichung der Studienkommission Kirche und Judentum der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Arbeitsgruppe für Fragen des Judentums der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, hg. von Rolf Rendtorff und Hans Hermann Henrix, Paderborn / Gütersloh 1988 (32001) Bd. 2: Dokumente von 1986 - 2000. Eine Veröffentlichung im Auftrag der Studienkommission Kirche und Judentum der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Arbeitsgruppe für Fragen des Judentums der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, hg. von Hans Hermann Henrix und Wolfgang Kraus, Paderborn / Gütersloh 2001. Die Bände werden fortgeschrieben in: Henrix, Hans Herrmann; Boschki, Reinhold (Hg.): Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 2000 bis heute, Band III (unter Mitarbeit von Andreas Menne) – Digitale Version. (https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/kirchliche-dokumente/online-publikation-die-kirchen-und-das-judentum; Zugriff am 10.4.2017).
  20. Wir verwenden den Begriff „Judaistik“, da dieser auch so in den (meisten) Studienordnungen bzw. Modulbeschreibungen gebraucht wird. Mit der Bezeichnung „judaistisch“ soll also kein (programmatischer) Gegensatz zur Rede von „Jüdischen Studien“ markiert werden. De facto sind „judaistische“ Lehrveranstaltungen in der Regel judentumskundlich angelegt, sie werden weitaus mehrheitlich von nicht-jüdischen Lehrenden angeboten.
  21. Für absolute Zahlen der Auswertung siehe Abschnitt 3.4 Überblick Pfarramt.
  22. Vgl. dazu etwa Wolfgang Kraus: Die Kirche ist kein Einzelkind. Änderungen von Kirchenordnungen bzw. –verfassungen im Bereich der EKD zum Thema Christen und Juden, in: blickpunkte. Materialien zu Christentum, Judentum, Israel und Nahost, Nr. 3 / 2012, 3-8.