Jüdisch-christliche Visionen
Pfarrerin Andrea Thiemann
»In der Nachfolge meiner Vorgängerin als Vorsitzende von ImDialog, Gabriele Zander, bin ich erst seit Januar 2016 Mitglied in der AG. Bisher war ich keine leidenschaftliche Besucherin von Kirchentagen. Aber die Diskussionen und die eindrucksvolle und überzeugende Programmplanung der AG u.a. für das Lehrhaus beim nächsten Kirchentag in Berlin im Mai 2017 haben mich überzeugt, dass ich die Kirchentage bisher nur sehr einseitig als ›christliches Happening‹ wahrgenommen habe. Besonders wichtig sind mir die neuen Impulse aus jüdisch-christlicher Diskussion für eine sich verändernde Theologie bis in die Kirchengemeinden hinein.«
Elisabeth Krause-Vilmar
»Ich habe die AG über meine Arbeit beim Kirchentag kennengelernt. Mir fiel schnell auf: Die AG ist etwas ganz besonderes! Bei den Treffen wird kontrovers und heiter diskutiert und gleichzeitig werden lebensnahe und relevante Veranstaltungen für den Kirchentag geplant. Viele Mitglieder haben sich ein Leben lang – wissenschaftlich und persönlich – begleitet, sich gemeinsam für den Dialog eingesetzt und scheinbare Selbstverständlichkeiten in Theologie und Kirche hinterfragt.«
Pfarrer i.R. Martin Majer
»Von 1973 bis 1975 war ich dienstlich in Jerusalem tätig. Diese Zeit war für mich geprägt von vielen Begegnungen mit Menschen, die unterschiedlichen Religionen und Strömungen angehören. Nach meiner Rückkehr kam ich (beim Frankfurter Kirchentag von 1975) zur AG. Begegnungen sind mir wichtig: vor Ort, in der Region und in Israel. Als Ergänzung dazu betreibe ich ›Theoriebildung‹. Mein Hauptinteresse gilt der philologischen Erforschung der synoptischen Evangelien, um die (sprachliche) Textgeschichte für die (religiöse) Entwicklungsgeschichte fruchtbar zu machen.«
Pfr. i.R. Werner Schneider-Quindeau (1949–2017)
Über meine Göttinger theologischen Lehrer Hans-Joachim Kraus und Hans Georg Geyer bin ich bereits als Student intensiv mit den Fragen des Verhältnisses zwischen Judentum und Christentum konfrontiert worden. Die Überwindung christlichen Antijudaismus, der wesentlich zur Entstehung des modernen Antisemitismus beigetragen hat, wurde für mich ein zentrales Studienziel. Was über Jahrhunderte wirksam war, lässt sich allerdings nicht einfach in ein paar Jahrzehnten korrigieren. Kontinuierliche Dialoge, vertiefte Wahrnehmung und kritische Überprüfung sind nötig, um die entsprechende Veränderung des christlichen Denkens nachhaltig zu bewirken. Dialoge in Israel und in New York haben mir bei dieser Neuformulierung meiner Theologie sehr geholfen. Auch die AG ist für mich ein ausgezeichneter Ort dieser Neurorientierung. Meine Vision ist, dass Jüdinnen/Juden und Christinnen/Christen sich als zwei Teile des einen Volkes Gottes verstehen, die auf je eigene Weise und in gegenseitiger Anerkennung in Wort und Tat Zeugnis ablegen von Gottes Willen und seiner Offenbarung für seine Geschöpfe. Dabei entsteht eine freundschaftliche Verbundenheit, die Ausdruck der von Gott gebotenen Liebe ist.
Dr. Volker Haarmann
H.-J. Kraus, der erste Vorsitzende der AG, hat einmal gesagt: „Das Verhältnis der Kirche zu Israel, wie es sich auch gestaltet, muß die christliche Kirche im Zentrum ihres Seins berühren.“ Für mich gehört die AG daher zu den Stammzellen, die die Erneuerung unserer Kirche anstoßen und vorantreiben können und müssen. Es geht hier nicht um ein Spezialthema, sondern um unseren Zugang zu den biblischen Texten und um unser Kirchesein überhaupt.
Der biblische Friedensauftrag von Juden und Christen, von dem R. R. Geis und H.-J. Kraus schon beim Kirchentag 1967 gesprochen haben, bleibt m.E. eines der zentralen Themen auch für die Zukunft: „Wir müssen mitten hinein in die Enttäuschungen der Geschichte, nicht aus ihnen heraus“, mahnte Geis damals gegenüber einem Rückzug des christlich-jüdischen Gesprächs aus dem Politischen.
Mag. Roland Werneck
»Bereits am Beginn meines Theologiestudiums haben mich Veranstaltungen der AG Juden und Christen fasziniert, bewegt und bis heute nicht losgelassen. Nach Begegnungen auf Kirchentagen habe ich mir meine Studienorte und theologischen Lehrer gewählt (Rolf Rendtorff, Friedrich-Wilhelm Marquardt). Mein Anliegen ist die Vermittlung der gesellschaftspolitischen Dimension von Theologie. Das christlich-jüdische Gespräch ist die beste Medizin gegen Fundamentalismus und theologische Beliebigkeit. Es wirft uns immer wieder auf die wesentlichen Fragen zurück, wohin sich unsere Kirche entwickelt.«
Prof. Dr. Bernd Schröder
»Die Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden hat stets auch eine (religions-)pädagogische Dimension: Es geht um die Initiierung bzw. Fortschreibung eines Lernprozesses. Neben theologischen und gesellschaftspolitischen Themen halte ich deshalb Bildung – Lernbereitschaft im Blick auf den Anderen und die Wege der eigenen Religionsgemeinschaft – für eine unverzichtbare Dimension christlich-jüdischen Dialogs. Ich würde mir deshalb wünschen, dass die AG auch Veranstaltungen Schüler/innen, für junge Erwachsene, für Multiplikator/inn/en anbietet, die nicht schon über profundes Wissen im Bereich der jeweils eigenen theologischen Tradition verfügen. Christlich-jüdisches Gspräch soll vielmehr Lust machen, in die je eigene Tradition hineinzuschauen – auch mit Hilfe ungewöhnlicher Medien (Film, sequentielle Kunst, Pilgerschaft).«
Dr. h.c. Ulrich Schwemer
»Als Gemeindepfarrer lag und liegt mir die praktische Umsetzung der Ergebnisse der theologischen Debatten und Bibelarbeiten der AG für die Gemeindearbeit am Herzen. Deshalb setze ich mich für die Weiterentwicklung des Experimetes gemeinsamer religiöser Feiern ein. Hier können Juden und Christen gemeinsam auf der Grundlage der Bibel und in gegenseitigem Respekt voreinander Feiern erarbeiten, die den gemeinsamen Gott verehren und zugleich auch die Unterschiede ausdrücken.«
Dr. Dmitrij Belkin
»Wir Migranten und Migrantinnen sind Chamäleons. Wir müssen mimikrieren. Wie passe ich mich so an, dass das halbwegs geht und ich den Anderen und mir selbst nicht so fremd vorkomme? Wer kennt diese Frage nicht? Wenn eine migrantische Situation dazu noch jüdisch ist und das Ganze sich in Deutschland abspielt, wird der neurotische Zusammenhang perfekt. Die Suche nach den wenigen adäquaten Orten des eigenen Agierens wird nicht selten zu einer paradoxen Achterbahnfahrt. Wenn man diesen Ort findet - die AG ist für mich sicherlich einer davon - will man die Verantwortung übernehmen. Meine Vision für die AG und den jüdisch-christlichen Dialog ist vor allem kommunikativer und sprachpolitischer Natur: Wie entstaubt man die Denk- und Sprachfiguren der Vergangenheit, die heute höchstens zu musealisieren sind? Wie kommuniziert man miteinander und mit der Außenwelt in einer Sprache, die der jungen Generation (etwa unserer Stipendiaten) zugänglich ist und zugleich Geschichte und Erinnerung nicht über Bord wirft? Wie berücksichtigt man im Dialog die (religiöse) Geschichte einer hierzulande immer noch kaum bekannten Gruppe namens ›postsowjetische Juden‹, die im Wesentlichen das Judentum Deutschlands von heute sind? Wie gestaltet sich eine interreligiöse und kommunikative ›Augenhöhe‹ der Juden und Christen in einer Situation, in der man sich für ›die Augen‹ des/der Anderen immer weniger zu interessieren scheint? Sich diesen Themen gewohnt fundiert und motivierend innovativ zu widmen, könnte die schöne Agenda ›meiner‹ AG der Zukunft sein.«
Milena Hasselmann
»Ich bin das erste Mal mit der AG in Kontakt gekommen, als ich mich um ein Studienjahr an der Hebräischen Universität bei ›Studium in Israel‹ bewarb. Das Studienjahr in Jerusalem hat mir bewusst werden lassen, wie nötig ein Umdenken in Theologie und Kirche war und wie wenig abgeschlossen es bis heute ist. Die AG ist für mich ein Raum, in dem ehrlich und mit Herzblut um Fragen des jüdisch-christlichen Dialogs gerungen wird, die nicht nur an Theologie und Kirche gerichtet sind, sondern auch weit in das nicht-religiöse Leben hineinreichen. Das Besondere an dieser AG ist, dass die Streitlinien nicht vorrangig entlang der Religionszugehörigkeit, sondern oft quer dazu verlaufen.«
Prof. em. Dr. Gerhard Marcel Martin
»Ziel der Arbeit der AG für mich ist die persönliche und themenorientierte Begegnung zwischen Juden/Jüdinnen und Christen/Christinnen im gesellschaftlich und auch religionssoziologisch reflektierten Zusammenhang, zentriert auf die Gegenwärtig-Setzung der teils gemeinsamen, teils getrennten Traditionen. Dabei ist mir sowohl gruppendynamisch wie sachbezogen der Einsatz verschiedener, besonders auch ästhetischer Medien sehr wichtig (z.B. Bibliodrama).«
Prof. Dr. Alexander Deeg
»Ich habe sehr gerne in Erlangen Theologie studiert; aber das beste Jahr meines Studiums war ohne Zweifel mein Jahr mit ›Studium in Israel‹ an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die Einsichten in den Talmud und vor allem in den midraschischen Umgang mit der Bibel haben mich nachhaltig beeindruckt und mein theologisches Denken verändert. Ich bin überzeugt: Der immer neue, dialogisch offene Weg in die Schrift erweist sich als Weg in ein erneuertes Miteinander von Christen und Juden und in eine erneuerte Theologie. Besonders interessieren mich die praktischen und praktisch-theologischen Fragen des jüdisch-christlichen Gesprächs und hier vor allem die Predigt und der Gottesdienst.«
Prof. i.R. Dr. Klaus Wengst
»Der Tatbestand, dass der erste Teil der christlichen Bibel zuvor jüdische Bibel war und es weiterhin ist, verursachte aufgrund des christlich beanspruchten Auslegungsmonopols christliche Judenfeindschaft. Inzwischen haben Christen erkannt, dass sie dieser Tatbestand fundamental zum Judentum in Beziehung setzt. Denn das Neue Testament basiert ganz und gar auf der ›Schrift‹, der jüdischen Bibel. Es kennt keinen anderen Gott als den in ihr bezeugten. Dieser enge Zusammenhang gibt dem christlich-jüdische Gespräch seine Besonderheit. So erhoffe ich mir – unter Respektierung bleibender Unterschiede und Grenzen – ein immer intensiver und breiter werdendes gemeinsames Lernen von Juden und Christen und ein gemeinsames Agieren im gesellschaftlich-politischen Raum.«
Prof. Dr. Angela Standhartinger
In die AG Juden und Christen wurde ich als Universitätsprofessorin eingeladen, die sich für die Vielfalt des antiken Judentums interessiert und im Neue Testament vielfältige jüdische Stimmen hört. Wichtig ist mir, gegen Konstruktionen von Judentum anzudenken, auf dessen Rücken sich das Christentum sich zu profilieren können meint. Das Ziel unserer Arbeit sehe ich darin, das im jüdisch-christlichen Gespräch Erreichte zu verbreiten und auf neuen Wegen weiterzudenken. Jüd_innen und Christ_innen verbindet der Bezug auf die gleichen heiligen Texte, wobei jede Religion weitere Texte hinzufügt. In ihrer Geschichte hat sich christliche Theologie vielfach schuldig gemacht gegenüber dem Judentum. Bessere Theologie kann nur in Reflexion dieser Geschichte entstehen. Die AG Juden und Christen ist etwas Besonderes, weil sie viele Akteure und Akteurinnen in unterschiedlichen Funktionen verbindet und einen vertrauensvollen Rahmen bietet, in dem neue Themen auch kontrovers angesprochen werden können.
Pfarrer Wolfgang Kruse
»Seit dem Studienjahr an der Hebräischen Universität Jerusalem 1979/80 im Rahmen des Studienprogramms Studium in Israel engagiere ich mich im christlich-jüdischen Gespräch. Mir ist wichtig, dass die Erkenntnisse dieses theologischen Austauschs ihre Relevanz auch für die pfarramtliche Praxis erhalten. Dazu dienen die von mir 1996 ins Leben gerufenen ›Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext‹. Eine besondere Chance sehe ich in dem Lehrhaus-Format, das es interessierten Kirchentagsbesucher*innen ermöglicht, in Workshop-Veranstaltungen ihre Fragen zum christlich-jüdischen Verhältnis einzubringen. Dabei zeigt sich, dass wir die ganz grundsätzlichen Fragen immer wieder neu buchstabieren müssen.«