Sohn Gottes im Gespräch mit dem Judentum

Predigt zu Joh 10,30ff

Dr. Christian Staffa

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2.Kor. 13,13)

Dank für Einladung

Sohn Gottes – im Gespräch mit dem Judentum – Versuch einer Predigt zu einem innerjüdischen Gespräch

Die Wächter auf den Mauern haben umsonst gerufen. Alle haben verloren, jene, die sich von der Nähe zu Rom Sicherheit versprachen, jene die auf inneren Widerstand setzten und jene, die kämpfen wollten und kämpften und auch jene, die wie Paulus an die baldige Wiederkunft des Christus Jesus glaubten. Die Zerstörung Jerusalems ein Fanal, einstürzende Altbauten, Träume und Hoffnungen. Verzweifelte und beeindruckende Versuche, Kurs zu halten, ohne Tempel, dezentriert, doch in Gemeinschaft, Wege suchen, miteinander, gegeneinander, diesem Gott Israels, der einmal in Jerusalem zuhause war, zu dienen, treu zu sein zu bleiben zu werden, ihre / seine Treue aufzuspüren.

Jochanan Ben Sakkai, der aus Jerusalem herausgeschmuggelte Gelehrte arbeitet an der Erneuerung eines Judentums ohne Tempel, das zum rabbinischen wird. Er eine Leuchte Israels. Andere, die christusgläubigen Gemeinschaften aus Juden und Völkern, haben den wohl mal mehr mal weniger festen Glauben, dass die Auferweckung Jesu, der Beginn messianischer Zeiten sei. Obwohl die Welt voller Teufel war. Beide Fraktionen sind tief in jüdischer Tradition beheimatet, weshalb wir in Qualifizierung ihrer Streitgespräche einerseits über den Narzissmus der kleinen Differenz sprechen andererseits über einen Konflikt ums gefühlte Ganze.

Von Anfang an sieht der Evangelist Johannes Jesus den Gesalbten, den Christus als Essenz jüdischer Existenz. Am Anfang war der Logos, das Wort. Die Weisheit, das erste Geschöpf Gottes, sie fand keine Wohnung in der Gott feindlichen Welt, im Fleisch, so kehrt sie bei Hennoch zurück zu Gott, bei Sirach wohnt sie Israel ein. Gottes Wort am Anfang, Schöpfung und Neuschöpfung – alle Bilder schon im Prolog eng verwoben mit den Gotteserfahrungen Israels. Und nun in Kap 10 wieder solche Verwobenheit in Aufnahme des Vaterbildes: „Ich und der Vater sind eins“ oder wie der Neutestamentler Klaus Wengst übersetzt „Ich und der Vater wirken einmütig zusammen“. Auch die Sohnschaft ist ein Bild der Beziehung Gottes zu Israel. „Als Israel jung war, gewann ich es lieb: aus Ägypten rief ich meinen Sohn“, wie es in Hosea 11,1 heißt. „Lass meinen Sohn, meinen Erstgeborenen ziehen“ in Exodus (4,23). Sohnschaft ist eine Art der Beschreibung der geschichtlichen, ja auch rechtlichen Beziehung Israels zu Gott, nicht selten ist Israel von Gott als Erbe eingesetzt. Diese Sohnschaft erweist sich im Tun: „Damals habe ich selber gesprochen – so Gottes Wort bei Jeremia – : Wie will ich dich einsetzen unter den Söhnen! Ich gab dir ein Wunschland, ein Eigentum der Zier vor den Zierden der Weltstämme. Ich sprach zu mir, »Mein Vater!« werdest du mich rufen, von meiner Nachfolge dich nicht kehren“. (Jer 3,19) Wieder spüren wir auch im ganzen Duktus von Sohnschaft, Eigentum und Nachfolge, wie eng Johannes Jesus als Spiegelbild, als Israel für die Völker versteht, für uns.

Da erschreckt die Reaktion, Steine werden wieder in die Hand genommen. Hoi iudaioi, also Menschen, die in derselben Sprach- und Glaubenswelt im gleichen Resonanzraum zuhause sind, sind so bedrohlich beschrieben – wir kennen es in den letzten 1700 Jahren etwas grob gesagt andersherum: Die Steine in den Händen der Christen und Christinnen.

Hier wird noch gesprochen. Wieder in derselben Tradition mit ironischem Einschlag, „steht nicht auch in eurer Tora: Götter seid ihr“ (Ps 82,6). Der johanneische Jesus weiß um den Ursprung der Steine: Der Vorwurf er sei ein Falschmünzer, auf gar keinen Fall der Messias. Der Narzismus der kleinen Differenz und ein Unterschied ums Ganze.

Wenn wir uns heute, wenn wir uns damals umschauen, ist die hilflose Wut auf jemanden, der sich Messias nennt, aber die Welt nicht wie in den Verheißungen beschrieben von Ungerechtigkeit, Gewalt und Herrschaft also z.B. von den Römern, befreit, nicht ganz unverständlich. Auf der anderen Seite war es für die Mitglieder der johanneischen Gemeinde zum Ausschluss aus der Synagoge gekommen und das konnte sich auch bedrohlich auf Lebenssituationen auswirken. So könnten wir spekulieren, dass Johannes diese Bedrohlichkeit sichtbar machen will und gleichzeitig aber den Zweiflern in den eigenen Reihen auch vorrabbinisch rabbinische Argumente liefern möchte, warum Jesus doch der Christus sei und das jüdischer Tradition nicht widerspricht. Und das geht dann so:

„Denn es steht – er zitiert Psalm 82 – geschrieben: Götter seid ihr, sind wir als Kinder Israels, denn wir haben das Wort gehört, und an der Schrift ist nichts aufzulösen: Sie gilt. Was also wäre an meiner Sohnschaft und Gottgleichheit auszusetzen?“ Und nun kommt für protestantische Ohren doch Ungewöhnliches. „Glaubt meinen Taten, denn an meinen Taten / Werken tois ergois könnt ihr erkennen, dass der Vater bei mir ist und ich beim Vater.“ Die vielgeschmähten Erga werden zum Kriterium der Gottessohnschaft. Und wieder ja, die Werke sind auch das Kriterium für die Kindschaft Israels. Auf Nachfolge Israels zielt die Befreiung aus Ägypten. Die Sohnschaft zielt auf Dienst, auf Gottesdienst als Lebenswerk. Tora handeln ist dienendes Handeln in der Gegenwart Gottes getragen von seiner/ ihrer Gnade.

Das ist doch unerhört und zugegeben auch für mich, der ich mit dem Johannes Evangelium immer fremdelte, eine Überraschung. Die Klangfülle hebräisch biblischen Weltverständnisses des Johannes Evangeliums fasziniert mich neu. Auch ein bisschen eine Neuschöpfung.

Nach langen Jahrhunderten der Substitutionstheologie, der Selbsteinsetzung der Kirche als neues Israel macht es natürlich große Mühe diese Klangfülle nicht als unfriendly takeover zu lesen. Denn diese Klangfülle wurde enteignet und dem Selbstbild der Kirche zugesprochen und dabei exklusiv gemacht. Die Synagoga mit verlorener Krone, zerbrochenem Stab im brutalsten Falle mit Schwert geführt von der linken Hand Jesu am Kreuz ihren Kopf durchbohrend ist bildlicher Beleg für diesen Enteignungsprozess und seine Gewaltförmigkeit.

Wiederum verblüffend, wie austauschbar die „Seiten“ sind, die sie damals nicht waren, aber wurden: Der Vorwurf der Gotteslästerung, weil die Juden die zweite Person der Trinität, den Sohn Gottes nicht anrufen noch anerkennen mochten, die Steine in unseren Händen, die leider erfolgreicheren und folgenreicheren Festnahmen, als Johannes sie jedenfalls für diesen Moment am Schluss in Kapitel 10 konstatiert. „Da wollten sie ihn wieder festnehmen, aber er entkam aus ihrer Hand“.

Wiederum verblüffend, wie austauschbar die „Seiten“ sind, die sie damals nicht waren, aber wurden: Der Vorwurf der Gotteslästerung, weil die Juden die zweite Person der Trinität, den Sohn Gottes nicht anrufen noch anerkennen mochten, die Steine in unseren Händen, die leider erfolgreicheren und folgenreicheren Festnahmen, als Johannes sie jedenfalls für diesen Moment am Schluss in Kapitel 10 konstatiert. „Da wollten sie ihn wieder festnehmen, aber er entkam aus ihrer Hand“.

Vor drei Tagen war der 80. Jahrestag der Wannseekonferenz, auf der 15 Männer Maßnahmen erdachten, wie 11 Millionen Juden, Frauen, Männer Kinder, am effektivsten umgebracht werden könnten. 8 von ihnen hatten eine „christliche“ Erziehung erfahren. Es gibt keinen direkten Weg von kirchlichem Antisemitismus nach Wannsee und Auschwitz, aber es gibt nahe Verbindungen in der jahrhundertelangen fatalen permanenten Feindbeschreibung des Juden.

Feindselige Ausblendungen der Klangfülle, Wegdenken der so ineinander verschlungenen Glaubenswege, Ignorieren der Jüdischkeit Jesu und seiner Jünger*innen; weg interpretieren der jüdisch verankerten Attribute Jesu als Sohn, als Licht der Welt, als Weg, Wahrheit und Leben, die alle ihren Sitz im Leben als Attribute der Tora im biblischen Judentum haben und im rabbinischen genau so weiter gedacht werden. Nicht umsonst sagt Daniel Boyarin einer der großen zeitgenössischen Talmudisten „ I am claimig the New Testament a Jewish book“.

Es würde jetzt zu weit führen, die komplexen Gründe für diese christlichen Negativ-Projektionen und Enteignungsvorgänge aufzuschlüsseln und auch sprengt das den Charakter einer Predigt. Aber lassen sie mich, denn es heißt ja Gespräch mit dem Judentum, den mir sehr wichtigen theologischen Lehrer Theodor Wiesengrund Adorno zitieren, im Wissen darum, dass er diese Beschreibung „theologischer Lehrer“ sicher ablehnen würde: „Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drucken sie ihr eigenes Wesen aus. Ihr Gelüste ist ausschließlicher Besitz, Aneignung, Macht ohne Grenzen, um jeden Preis. Den Juden, mit dieser ihrer Schuld beladen, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können.“ Die Völkischen sind hier im Jahr 1944 ausweislich des Kreuzes und Opferbegriffs christlich gedacht, was schmerzhafter kaum sein kann.

Warum also können wir uns nicht wertschätzend und anerkennend und lernend dieser Jüdischkeit unserer christlichen Gründung nähern? Warum ist es so verletzend oder undenkbar, dass Jesus für die Völker die Geschichte Israels spiegelt und so uns Orientierung in Verheißung und Gesetz zum Leben gibt. Uns ist dieser Sohn Gottes anders als Israels meisten Kindern Gottes durch die Auferweckung als Messias bekannt geworden. So öffnete sich das Tor für die Völker, aber eben als Angeld, wie Paulus sagt. Es ist vollbracht, aber noch nicht erfüllt. Kein Grund die Skepsis der jüdischen Geschwister bezogen auf messianische Wirklichkeit heute zu denunzieren. Die christlichen Kinder Gottes haben in ihrer Geschichte nicht viel dazu beigetragen, dass Messianisches für Israel spürbar wurde. Wenn sie, wie Jesus die Gesprächspartner auffordert, unseren Taten glauben, dann fällt jedenfalls angesichts kirchlichen Handelns in der Geschichte und heute immer noch in weiten Teile der Kirchen es nicht ganz leicht, das Messianische zu sichten.

Spüren und leben wir das Befreiende und das Tröstliche, das in einem Satz liegt, der da heißen kann: Wir können vom Gottessohn Jesus nur in Treue zum Gottessohn Israel reden. Das rettet uns vor der Gewalt der dualisierenden Rede von Neu und Alt, ohne uns selbst als Israel zu verstehen, gleichsam positiv enteignend, aber auch ohne Denunzierung. Ohne Jesus Christus, den Erstling der Entschlafenen, und seine Einsetzung sitzend zur Rechten Gottes, glaubten, hofften, liebten wir, Angehörige aus den Völkern, nicht.

Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt! Dies Ist eben sowohl Psalmwort Gottes zu Israel, wie Evangeliumswort zur Taufe Jesu. Das weiter zu buchstabieren – immer wieder neu, wäre Aufgabe, Orientierung und Trost zum Leben in Verheißung auf neues Leben mit den Werken Gottes, die sich mit und durch den Beistand, den Heiligen Geist in den unseren zeigen mögen, wie sie sich in Jesus gezeigt haben.

Amen